Auf Schatzfahrt. Roman.

31. Der zweite Name des Holunders

Zehnter September, auf dem Weg nach Rabazon

Kapitän Berrzak lehnte in der Tür zur Kombüse der Hundebunt. „Die Vaudekla sind kurz nach eurem Aufbruch im Dorf erschienen.“ Ihr Kom-Werker hatte ihn um Mitwirkung gebeten, aber das behielt er für sich.

Seine Mannschaft verschlang das gleiche Mittagessen, das ihm der Smut zuvor in die Kajüte gebracht: Brotschnitten, mit Mannheimer Ziegenkäse belegt und in der Pfanne erhitzt. Wo die Masse über die Ränder geflossen war, bildete sie braune Krusten. Dazu gab es Gemüsesuppe, eine dicke grüne Pampe, genau richtig gewürzt.

Die einen soffen in der Morgenfrühe, der Smut trieb Esskram auf. Trotz des Nachtspans bei Masten hatte Berrzak zweimal um Nachschlag geläutet, hatte nach der Arbeit mit dem Vaudekla nun etwas Mühe, sich wachzuhalten beim Navigieren und obendrein der Mannschaft zu berichten. Gemeinhin behagte es ihm nicht, wenn alle so viel wussten wie er, doch heute war er in Erzähllaune.

Er lauschte kurz in die Nachrichten, bemerkte Speckstreifen im Grünzeug in Perris Eßschale. Bei ihm hatte der Smut sie weggelassen, der wusste Bescheid. Aß Berrzak vom Fleisch getöteter Geschöpfe, teilte sich ihm ihr Elend mit und verweilte. Das kannten alle von seiner Art, solche Erscheinungen meinte Freund Masten mit seinen ‚Wichten‘. Sie hatten etwas Lebendiges, wie die anhänglichen kleinen Nebelfelder, die bei Wetterumschwung von warmfeucht auf kalt auftauchten.

In jedem Kapitäns-Kom gingen Wichte um. Berrzak könnte Jorrgens Stimme als Wicht abtun, wäre ihm klar, was sie herbeirief. Doch da gab es nichts- „Au.“ Tagtraum Ende, Perri hatte ihm mäßig gefühlvoll gegen die Wade getreten.

„Muss essen“, sagte Perri mit vollem Mund. „Kann deine Kapitänsfigur nicht auffangen, wenn du im Stehen einschläfst.“

„Die Borddisziplin lässt zu wünschen übrig“, bemerkte Berrzak, fuhr übergangslos fort: „Ihr Kom-Werker hat beim angeblichen Kapitän ‚Holler‘ eine falsche Kennung entfernt, instabil auf die echte gepfropft.“

„Kapitän Holler und die Hollermaid. Erfindungsreich.“ Pitt.

„Der zweite Name des Holunders lautet ‚Hollerbusch‘. Verholt noch eins, das schmeckt.“ Kanda nahm sich die vorletzte Schnitte.

„Nachschlag!“, riefen Perri und Pitt.

„Wie geht es ihm?“, fragte Homme.

„Als ich gegangen bin, war er glücklich“, sagte Berrzak, „Der alles ‚enn‘ findet, hat auf dem Wrack ein unbeschädigtes Fass Berrgenheimer Doppelkiek gesehen und will es für ihn bergen.“

„Kostbarkeit“, nickte Perri, „brauen kleines Kontingent.“

„Sein Schiff hieß ursprünglich Holzmacher“, sagte Berrzak. „Sein wahrer Name lautet Kapitän Traundöter.“

„Och.“ Homme. „Und die Schiffskennung? Gefälscht, geht das?“

„Ist auch der Traun ein Busch?“ Pitt zu Kanda.

„Nicht in unsrer Gegend“, sagte Kanda, Stirn gerunzelt. „Aber da war was.“

„Eine gefälschte Schiffskennung ist mir noch nicht untergekommen“, sagte Berrzak, machte dem Smut Platz, der den Nachschlag auf den Tisch packte, verkniff sich das Zulangen. „Nein, Menden von Holzland, Hollers Bootsmann, hat die Holzmacher binnen eines Jahres zweimal umgetauft. Hat sich darauf verlassen, daß die Türme bei einem Vorfall nur bis zum letzten Namen nachsehen. Wenn überhaupt.“

Blick von Perri. „Der Menden? Der sich damals monatelang um das Mädchen bemüht hat, mit Trommeln unterm Fenster und spannenlangen Muschelketten und Strandnelken im Melkeimer und weiß der Geier was noch? Hab ihn nicht erkannt unter den müden Maiden.“

„Auch nicht“, vermeldete Pitt.

„Die von der Dreimalstark hatten ihn“, sagte Berrzak. „Er war unverletzt, sah aber übel aus, also haben ihn die Mannheimer sofort ins Dorf gebracht. Zum Heiler, der ist nämlich krank. Hat sich mit einem Ziegenbock angelegt, kann derzeit nicht gut gehen.“

„Hehe“, lachte Kanda. „Was halten sie sich auch so eine extragarstige Sorte.“

„Rat mal“, sagte Perri über seine Brotschnitte weg.

„Von wegen die Milch“, sagte gleichzeitig Homme.

„Megen mer Milch“, verbesserte Pitt mit vollem Mund, gluckste, schluckte, hob den Finger, wie er es beim Erzählen machte. „Da will sich Menden seiner Auserwählten erklären, traditionell vor allen Leuten. Also bittet er sie in den Bunten Hund. Aber dieser Hund steht im hohen Norden, auf Holzland, und zwar in meinem Dorf, und drinnen sitzt nebst Perri und mir auch Mendens Unstern. Ich bin Berrzak etwas am Erklären, male eine Karte auf dem Tisch, bemerke einen Luftzug. Und daß mir keiner mehr zuhört, denn Mendens Holde ist kaum zur Tür rein, da stürmt Berrzak auf sie los und fragt ‚Abenteuer?‘ Sie kriegt diesen Blick, greift seine Hand, rennt mit ihm stracks wieder raus. Hab Berrzak ein halbes Jahr nicht gesehn danach.“

Snickernder Kanda, Berrzak fing seinen Blick auf. Anerkennung lag darin.

„Hast dich erst noch vorgestellt, oder?“ Perri.

„Unnötig, ich habe ihr gesagt ‚Du bist schön wie die knospende Rose im Tau des Morgens.‘

Pitt grinste. „Da konnten Menden und sein Hollerstrauch nicht mithalten.“

„Als hätte Kapitän Berrzak Gesäusel nötig“, gähnte Perri, schob seine Schale zur Seite.

"Kein Garten soll sein ohne den Hollerbusch“, bemerkte Kanda, „alles an ihm hat Heilkraft."

So große Augen bekam nur Homme hin, er richtete sie zweifelnd auf Berrzak. „Das ist wohl mächtig lang her?“

Schallendes Gelächter, der Smut spähte über Berrzaks Schulter, kiekste ihm ins Haar.

Homme versuchte nicht, gegen die vereinte Heiterkeit anzukommen. Er zog einen Schmollmund. Bis vielleicht auf Kanda spürten alle, wie er es meinte, sie lachten trotzdem.

Berrzak hob die Hände, beschwichtigte, nickte ihm zu.

„Du bist ein Kom-Kapitän“, begann Homme, „du kriegst jede, immer noch. Ist klar. Aber du hast niederträchtig gehandelt, das meine ich. So bist du nicht.“

Lieber, junger Homme. „Habs nicht gewusst“, sagte Berrzak, „und sie hatte sowas an sich.“ Das wollte geerntet sein, bevor es verging, im Übrigen trug ihr Haar jenen fuchsfalben Schimmer. Da hielt er sich nicht auf mit Spüren, ob ein Weib vergeben war. „Sie hat sich nichts gemacht aus Menden. Hielt ihn für einen, der mit Männern geht, der heiraten will, damit sie sein Haus bestellt, während er die meiste Zeit auf See ist.“

„Ach.“ Homme neigte sich Kanda zu, wisperte: „Wie Sascha.“ Kanda nickte bedeutsam.

„Mendens kalte Rache“, sagte Pitt. „Hat er sich was kosten lassen.“

„Und das Mädchen?“, fragte Homme.

„Hat später einen braven Reckdenwald geheiratet“, meinte Pitt, „während Menden unter die Piraten gegangen ist.“

„Und sich einen Kapitän gebaut hat, weil das jeder kann.“ Zufrieden wischte Kanda seine Schale aus mit einem Stück Brot. Kaute, stutzte, schaute Berrzak an, schluckte schnell und sprach weiter. „Mein Vater ist ein Reckdenwald, aber auf Kazon nennt er sich Baumgärtner. Wald kennt eins kaum auf Kazon, auf Rabatz schon eher. Dort sagen sie Förster.“

„Förster kümmern sich um angepflanzten Wald“, sagte Pitt, „und eine falsche Kennung lässt sich nur auf eine vorhandene setzen.“

„Merkt denn das Kom-Netzwerk nicht, daß da ein neuer Kapitän ist und ein anderer fehlt?“ Homme.

Kanda lachte auf. „Weißt du, wieviel Kapitäne es gibt? Und Kennziffern erst, um die müssen sich die vom Clan doch auch kümmern. Nimm den Hafenbezirk von Kazon Stadt, der allein bietet mehr Kennziffern als eine Buche Eckern trägt im Mastjahr. Auch nur eine davon zu lesen, kostet die vom Clan was Zeit auf Patrouille.“

„Clans gibt es nur bei den Zwergen", sagte Homme, "und die Vaudekla sind über ihre Türme verbunden zum Kom-Netzwerk. Da kann einer mehr als alle zusammen.“

„Andersrum.“ Berrzak sah zu, wie Hommes Stirn sich wellte, dachte an den Drunta-Kapitän, der ihn von Klein Waal nach Kazon gebracht hatte. Einer von DennDīnns Leuten, er führte ständig zwei Kennungen gleichzeitig, ohne zur andern Insel zu gehen. Kein Betrug aus seiner Sicht, er betrachtete sich als Künstler. „Über die Jahre gesehen werden etwa so viele Knaben Kapitänsschüler, wie Mädchen in die Türme gehen. Insgesamt eine überschaubare Anzahl. Auch die Vaudekla zählen wenige. Wie oft siehst du welche als Gast in den Kneipen, beim Flanieren, auf einem Familienschiff? Menschenscheu sind sie nicht, frei haben auch sie gern.“

Homme sah auf. „Alle gemeinsam können mehr, als wenn du sie zusammenzählst.“

„Gut ausgeknobelt.“ Berrzak nickte ihm zu. Freudenrot legte sich über das unfertige Knabengesicht, das ihn dennoch an Freund Jorrgen erinnerte, der mit vierundachtzig Sommern nach Droben gegangen war, statt wie ein rechter Ringmann die Hundert um mindestens ein Dutzend zu überschreiten. „Bei mir sind Kennung und Name untrennbar verbunden. Der Preis des Ruhms.“ Berrzak lächelte nicht.

Ein Vaudekla sah seine Kennung und sprach ihn mit Namen an. Der alte Norrfescher Kapitän dagegen, dessen Börse in Berrzaks Seekiste ruhte – der dürfte ihnen eine Ziffer bleiben, solange sie nicht nachsahen, wie er hieß.

Die Flachseeschiffer von Norrfesch Stadt allerdings hatten den Dragendöter wie eine Hundsbraut betteln lassen um eine Passage nach Klein Waal. Womöglich sprach sich Heldentum nicht herum bis zu den Nordöstlichen Fischerinseln. Zu entlegen. – Ah, er urteilte ungerecht. Seine Kennziffer stand ihm nicht auf die Stirn geschrieben, und der Spürsinn der Ringleute war nicht mehr, was er einst gewesen.

„Die von den Klainen leben ihre Aufgabe“, hatte Pitt derweil ausgeführt. „Sie betrachten sich als beteiligt am Unglück zu Kimraks Ende, haben sich damals verantwortlich erklärt für den Aufbau des neuen Schiffahrtswesens. Niemand konnte ahnen, wie groß das Kom-Netzwerk werden würde.“

„Hättens besser wissen müssen.“ Kanda. „Als Kapitän Berrgar und seine blinden Witter fertig waren mit dem Kartieren, da wollten die vom Clan auch für alles da sein. Ging dann mächtig los mit der Segelschiffahrt.“

„Hauwau, da rennt die Katz. Geschichtliche Kenntnisse.“ Pitt, ehrlich beeindruckt. Er schaute zu Perri, hob die Brauen.

Perri döste, Kopf und Arme auf dem Tisch. Berrzak unterließ es, ihn zum Ausgleich für den Tritt im Rauschen anzurempeln. Kindisch, und derlei Künste vergraulten Freunde.

Kanda hatte indes lässig abgewunken. „Da regt sich Pap gern auf drüber, weil damals längst nicht jeder Reckdenwald wacker geblieben ist. Viele haben von Femelbetrieb auf Kahlschlag umgestellt, das bringt schnell was ein. Aber nur einmal, wenn nämlich der Boden nicht mitmacht, und deshalb gibt’s heute Förster.“

„Sag, Kapitän Berrzak." Homme hatte aufmerksam zugehört, wandte sich nun an ihn. "Ein Kapitän ist doch immer wacker, er kann nicht anders, und das Lügen muss sogar ein Erzähler lange üben. Ich weiß noch, als ich klein war, hat der Hundwirt das noch nicht so gut gekonnt. Wie hat dann Kapitän Holler, also der gefälschte, die ganze Zeit so lügen können?“

„Das übernimmt die falsche Kennung, die steckt zwischen Kapitäns- und Schiffs-Kom.“ Berrzak schnupperte, klopfte gegen den Türrahmen, ohne sich umzudrehen. „Smutje, gib mir den Schwarzen hier.“

„Ack, Kapitän.“

„Der Hundwirt lässt Halbspannenhochs gern was glauben, damit sie daraus lernen“, bemerkte Pitt.

„Es braucht Jahre, eine Kennung anzupassen“, sagte Berrzak. “Die falsche setzt sich drauf und ahmt sie nach. Frag mich nicht, wie. Nimm Kapitän Traundöter, er hält sich für Kapitän Holler. Er tut als Traundöter, denn als Traundöter hat er sein Können erlangt. Aber er weiß es nicht mehr. Beim Schiff kommt Hollersches Tun an. Nicht für lang, denn eine falsche Kennung macht sich früher oder später selbstständig und geht durcheinander mit der echten Kom-Persönlichkeit. Traundöter hat Stimmen gehört.“ Eine davon war DennDīnn gewesen.

Andere Stimmen klangen, als seien sie Jorrgen. Sie wussten alles, das Jorrgen gewusst, das Berrzak fast vergessen-

‚Wir haben einen Klabautergast‘, sagte Masten im Schnackwinkel. ‚Meine Leute hören ihn, ich spüre ihn manchmal.‘ – Berrzak lächelte. ‚Später, bin am berichten. Lass ihn schlafen, er braucht Ruhe.‘‚Was soll mir das? Dachte, der fährt bei dir mit.‘ Wenn Masten sich ärgerte, wars ihm gleich, ob er störte. – ‚Wir hatten einst gewettet, Freund Masten. Daß es Drunta wirklich gibt. Daß du sie nicht spürst, wenn sie das nicht wollen.‘ Berrzak kniff die Augen zusammen, als Masten einen Kübel Flüche über ihm ausleerte.

„Was Schlimmes?“, fragte Perri.

„Freund Masten“, sagte Berrzak. Vom kurzen Austausch mit DennDīnn wusste er, sein Druntafreund hatte mit der Havarie der Hollermaid zu tun. Wegen eines Stücks Zwergenkram namens ‚Leutholers Hand‘, bekannt aus Gerüchten. Dieses Ding hatte Berrzak nicht an Bord haben wollen, Freund Masten ließ er lieber im Unklaren darüber. DennDīnn kams gelegen, er zog es vor, alleine zu reisen, sprich: ungesehen. Da konnte er sich überlegen, ob er zur Bergung der Hollermaid beisteuern wollte. Spätestens auf der Burgzinne wollte er Berrzak alles erzählen.

Endlich beruhigte sich Masten, zog sich zurück. Berrzak rieb sich die Stirn.

„Du hast noch keine Nachrichten rausgegeben“, sagte Pitt.

Berrzak tat es, nahm vom Smut seinen Pott entgegen.

„Und das Schiff?“

Einmal auf Kurs, fragte Homme weiter bis später droben, doch Berrzak fand noch ausreichend Erzähllaune. „Kapitän Traundöter hat sich auf drei Kapitänsbecher Omrak am Tag hochgeschraubt, durch Üben seit Erhalt des Kom. Als Menden die Holzmacher angegriffen hat, hatte er einen vierten am Wickel. Es war Nacht, die Deckswache hatte mitgetrunken, in Krügen, versteht sich. Traundöter hat erzählt, binnen Augenblicken schien alles verloren, also habe er sein gutes neues Segel von den Rahen schneiden lassen, um es den Piraten möglichst schwer zu machen. Ein trunkener Einfall, unnötig, die Speicher waren voll.

Als er dann Kapitän Holler hieß und sein Schiff Hollermaid, hatte er Visionen von fallendem Grün, das war die Bordfarbe, also auch die des Segels, und der Anblick des Ersatzsegels hat ihn erbost, ohne daß er den Grund hätte erfassen können. Er nannte es ‚Kapitän Berrgars Orsenwisch‘. Auch die Galionsfigur machte ihm zu schaffen, ein Waldarbeiter mit Axt. Als junger Kapitän hatte er sie selbst in Auftrag gegeben.“

„Traundöter“, sagte Pitt, „wie kommt er zu diesem Namen. Das ist keine Familienzunft, die kenne ich alle.“

„Hat ihn sowas wie geerbt von seinem Pap, der sagte 'Traun' zu den Wesen, die ihn im Kom heimgesucht haben. Hat wohl auch gesoffen." Oder Bordpfännchen mit erheblich viel Schinken verputzt. Wie hielt Masten das aus.

"Das wars." Kanda zeigte auf Pitt. "Hüte dich vorm Traun / In Tollkirsche, Bilsenkraut und Alraun. Bei der Alraune ist die Wurzel gemeint."

"Und wozu die Wurzel", fragte Homme.

"Kriegst du jedes Mädchen mit", sagte Kanda. "Wenn du noch lebst. Erzähls dir andermal."

Berrzak probierte den Schwarzen, klopfte an den Türrahmen. „Den Zucker, bitte.“

"Ack, Kapitän."

„Und der Weffermacher?“

„Stammt nicht von Kapitän Traundöter, Menden hat ihn einbauen lassen. Nebst anderem Zwergenkram, alles nicht mehr zu gebrauchen, sagen die Vaudekla. Aber sie konnten noch feststellen, daß sein Feld selbst bei größter Ausweitung nicht bis an die Mastspitze der Hollermaid herangereicht hätte.“

„He.“ Kanda visierte ihn an.

Unverkennbar ging es dem Knaben stetig besser, auch wenn er den Kom-Werker nicht hatte fertigarbeiten lassen. Berrzak behielt ihn im Blick. Kanda wurde unruhig.

Homme staunte Kanda an, Pitt fragte: „Oben guckt der Mast raus? Wozu?“, Perri hob den Kopf und blinzelte. Der Smut brachte einen Topf, drehte einen Löffel um darin, löste ihn und steckte ihn in Berrzaks Pott.

Honig. Den musste er aus Mannheim haben, Berrzaks Wunsch hatte gewirkt. Fehlten noch die Schnitten.

Honigsüße verteilte sich langsam, da galt es zu rühren. Kanda sah gebannt zu. „Ein Vaudekla hat nachgesehen“, sagte Berrzak schließlich, nahm bedächtig einen Schluck. Kanda juckelte auf der Bank. In seinen Augen funkelte die Frage, ob sein Kapitän Wort hielt und ihn nicht verriet. „Hat an der Mastspitze einen Signalnehmer gefunden, der seine Kraft aus dem Segel bezog. Wozu der gut war, konnte sich der Vaudekla nicht erklären. Der Signalnehmer empfing nichts, und er war wie der Weffermacher nicht mehr zu gebrauchen.“

„Fijuh“, Pfeifgeräusch von Kanda. Der trieb noch Allotria, wenn er am Galgen hing und die Alraunen düngte.

Homme musste lachen, offensichtlich dachte er sich nichts bei Kandas Gehabe. „Und wie ist sie auf den Felsen gekommen?“

„Negativ“, sagte Berrzak, „laut Befund der Vaudekla.“ Freund Masten hatte kommentiert: ‚Sie wissen es nicht? Unwahrscheinlich. Ich sage dir, auf deinem Schiff geht mehr vor, als du ahnst.‘

◊ ◊ ◊

Wann immer Menden die Augen aufschlug, spielten Lichter über die wohlgefügten Balken im Dachstuhl. Er ruhte vor einem Kaminfeuer, trocken und warm. Bis später droben wollte er so liegen.

Am ersten Tag hatte er geglaubt, er sei bereits nach droben gegangen. Doch dann war Kanda gekommen und Menden hatte gewusst, noch war es nicht soweit. Etwas Ungewohntes hatte sich in ihm geregt beim Anblick des zerquälten Knaben, er hatte ihm alles gesagt. Nun gut, fast alles. Weil ihm das Sprechen zuviel der Mühe war.

Der Kom-Werker ist nicht auf der Hollermaid mitgefahren. Er hat uns alle hereingelegt. Kurz vor der Abreise wollte ich zu ihm, mir war ein Verdacht gekommen. Er hatte sich davongemacht.

Genaugenommen hatte der Kom-Werker nie mitfahren sollen. Der war ein Mitwisser, Menden hatte ihn über die Klinge springen lassen und sich seine Ringe zurückholen wollen. Misstrauisch war er erst geworden, als er die Kellerbleibe verlassen vorgefunden, als der Zimmerwirt ihm gesagt, sein Gast habe sich früher am Abend nach Rabazon eingeschifft.

Weswegen der Kom-Werker die Flucht ergriffen hatte, erschloss sich Menden nicht. Als er ihm nachspüren wollte, meldeten die Türme zwei Fälle von Trinkertod im Bezirk. Derweil hatte die Mannschaft ohne seine Aufsicht gestaut. Stürzende Ladung allein hatte die Hollermaid nicht auf den Fels gebracht, aber sie war mit Sicherheit beteiligt.

All das war umständlich zu erzählen, Kanda würde irgendwann von allein dahinterkommen.

Also hab ich ohne Kom-Werker weitergemacht. Was blieb mir anderes übrig. Gräm dich nicht, wir tragen seine Werke. Die kann er uns nicht nehmen. Den Kapitän Holler habe ich täglich den Plan aufsagen lassen.

Ein guter Rat des Kom-Werkers, denn als Holler zusehends zur andern Insel ging, war der Plan das Einzige, das ihn noch zurückholte. Aber der Kapitän hatte Angst vorm Navigieren im Wefferfeld, er fing wieder zu trinken an, derweil sich die Mannschaft wie die Junghirsche mit Triple-Omrak außer Gefecht setzte.

Viel zu früh war die falsche Kennung flötengegangen. Statt außer Sichtweite von Vorland zu kreuzen – laut Holler unmöglich nachts im Wefferfeld – machte sich die Hollermaid beharrlich auf ins Flachwasser zwischen Vorland und Küste. Selbst die Mannschaft merkte was und maulte, so gut sie das noch hinbekam. Ihrem Orientierungssinn konnte der Tripomk nichts anhaben.

Mehrmals ließ sich die Holler-Kennung zurückbringen, brachte das Schiff wieder auf Kurs. Immer wieder schwor Holler, er müsse gegensteuern, denn das sei nicht er, der da ins Flachwasser wolle. Dazwischen fluchte er, verhöhnte Menden und den Plan. Um sich als Nächstes den Kopf zu halten, während das Schiff abermals die Richtung änderte.

Gegen Mitternacht wollte Menden eingreifen und selbst steuern, doch er fand keinen Zugang zum Schiffs-Kom, musste einen von Hollers lichten Momenten abwarten. Derweil kam die Mannschaft an Deck gekrochen, ihr Begehr blieb unklar. Kein lebendes Wesen verstand derartiges Gelall.

Endlich war Holler ansprechbar. „Kapitän Holler, wie gelange ich ins Schiffs-Kom? Da ist nichts. Wenn du das bist, gib es bitte frei.“

Holler lachte ihm ins Gesicht. „Du kannst nicht im Kom steuern. Es gibt keinen Kom-Ersatz für Unbegabte, du rauschst bloß schwächer als ein Vaudi. Dir kann eins jeden Mennesch aufschwatzen, versuch dich am Notruder.“

Mendens Hand fuhr zum Messer, er beherrschte sich, hob sich das auf für später. Er brauchte diesen Mann. Der dachte ans Schiffs-Kom und war drin, ebenso ging das mit dem Kom-Ersatz. Aber da musste es noch was geben, eine Sicherung vielleicht, von der ihm der Kom-Werker nichts gesagt hatte. Vergessen? Absicht? War er deswegen verschwunden? „Besinne dich auf den Plan, Kapitän Holler.“

Holler glubschte ihn an, sagte: „Du trägst einen Dämpfer.“

Dann setzte die Welt aus.

Als sie wiederkam, besaß sie keine Richtung. Das ließ nach, wurde zu Ordnung und Friede. Mehr wollte keiner.

Ich hab die Hollermaid gesehen und gewusst, der Weffermacher ist aus. Mehr nicht. Später erst hab ich begriffen: Du siehst dein Schiff von außen. Dein Kapitän treibt im Schwimmreifen vorbei. Weil du über Bord gegangen bist.

Es war mir gleich. Im lauwarmen Wasser zu dümpeln schien mir das Ziel aller Wünsche. Irgendwann seid ihr aufgetaucht, also hatte es wer geschafft, den Mannschaftsnotruf auszulösen. Ich vielleicht, ich weiß es nicht. So wenig, wie ich weiß, was uns auf den Stolzen Mann gesetzt hat. Oder wer dir das Kom fertigbaut.

Kanda trug kein halbfertiges Kom, nur einen Rufer. Aber das behielt Menden für sich, solange er kein Messer führen konnte, nicht mal eins sehen mochte. Schweigen bewahrte ihm das Ruhen im Flammenschein.

Außerdem hatte neben Kanda schon Bina mit dem Essen gewartet. An jenem ersten Tag hatte er sie noch nicht mit Namen gekannt, inzwischen brachte immer sie ihm das Essen, und nur ihm, um die anderen kümmerten sich andere. Bina nannte ihn ‚mein schöner Holzlander‘, sie leuchtete vor Freude, wenn er lächelte, wenn es ihm so gut ging, daß er an ihrem Arm ein paar Schritte auf dem Vorplatz tun konnte. Wenn es ihn nicht auf die Heimatinsel zog, wollte sie ihn zu sich nehmen und gesundpflegen.

Kanda war abgerauscht, verwirrt und zornig, aber zur Verzweiflung neigte dieser Knabe nicht. Der würde bald klarkriegen, daß er mit dem Rufer im Kopf seine Dienste feilbieten konnte. Velleicht wusste er es schon, er hatte nämlich den Verstärker nicht herausgerückt. Menden hatte nicht danach gefragt.

Wenig später waren die Vaudekla aufgetaucht. Ihr Kom-Werker bestätigte Kapitän Hollers letzte Worte, Menden trug ebenfalls kein Kom. Es war tatsächlich ein Dämpfer. Ein fieser Zwergenkram, der dem Rauschen die Kraft nahm.

Nach einem lizenzlosen Kom-Werker hatte sich Menden schon vor dem Ausfeilen seines Plans umgetan gehabt, hatte erstaunlich schnell einen gefunden, nie zuvor von ihm gehört. Ein Stümper sei der nicht, sagte der Vaudekla. Im Gegenteil, es stecke großes Wissen hinter seinem Wirken. Und Hinterhältigkeit. ‚Kennst du die Ursache seines Verrats?‘ Menden fand keine, außer Rache für eine längst vergessene Tat.

Dank der Vaudekla war die Holler-Kennung erloschen, ohne Schaden zu hinterlassen. Kapitän Traundöter stellte keine Forderungen an ihn. Das hörte Menden vom selben Vaudekla, der auf einmal erneut an seinem Lager stand, mit Kanda und Kapitän Berrzak.

Immer noch am ersten Tag musste das gewesen sein, vormittags. Jedenfalls hatten sie Bina nicht zu sehen bekommen, dem All-Einen sei Dank. Wie lange lag er nun hier, es ging ihm noch durcheinander, es war nicht von Bedeutung. Womöglich hatte er diesen Teil nur geträumt.

Denn der Kom-Werker sagte, bei der Havarie habe etwas den Dämpfer verändert, er lasse sich nicht mehr entfernen. Und dann bat er Berrzak von Oosland, sich das gemeinsam mit ihm im Kom anzusehen, und der Ooslander nickte und war kein Stück wütend. Nur teilnahmsvoll. Irgendwie half er sogar dem Kom-Werker. Danach sah er mächtig müde aus und sagte, es brauche seine Zeit, aber mit Linderung sei zu rechnen.

Menden fühlte sich schon jetzt besser, brachte nicht zusammen, wie ihm einer sein Mädchen stehlen, dann aber ein anständiger Mannskerl sein konnte. Vielleicht nicht das Schlechteste, dass seine Rache gescheitert war.

Kanda hatte er bestätigen sollen, daß er nur einen Rufer trug, denn das nahm der Knabe den beiden nicht ab. Aber Menden wollte ihm nach wie vor nichts davon sagen.

Sein verräterischer Kom-Werker hatte den Knaben gut abgerichtet, Kanda spuckte seinen Namen nicht aus, ließ sich zwar gegen die Schmerzen helfen, tobte aber, als es ihm zu lange dauerte. Glaubte, der Vaudekla wolle ihm sein Kom wegmachen, hieß ihn aufhören, kreischte nach des Ooslanders Hilfe, als der Vaudekla nicht stracks von ihm abließ. Glaubte noch immer, irgendwann ein Schiff steuern zu können.

Menden wars gleich, auch das mit dem Dämpfer. Bina kannte ihn nicht anders, und ihr Haar zeigte jenen Stich ins Rötliche, dessentwegen ihm der Ooslander damals ins Gehege geraten.

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