Auf Schatzfahrt. Roman.

14. Unsre schöne Heimat

Siebter September, Kazon

„Mögacht.“ Kapitän Berrzak betrat den Gastraum des Kupferkrug, geriet in Schwaden von Rauch und Panik. An einem der Tische saß die Wirtin, summte ein Heimatleutelied, verrieb Flecken mit dem Zeigefinger.

„Mögacht, Kapitän.“ Der Krugwirt stand hinter der Tür, rüttelte ein Querholz aus der Halterung. „Mit den Gästen sind mir alle Leute davongelaufen, die lass ich nicht mehr rein. Was hilft ihnen mein Lager, dort verrecken sie zwischen den Fässern.“ Er wies zur Stiege an einer Seitenwand. „Der Smut ist oben am Packen.“

Hatte da drunter nicht immer die Theke gestanden? Die hockte nun vor der Wand zur Küche, Kursänderung um acht Strich. Stufen knarzten unter Stiefeln, der Smut erschien, erblickte ihn ohne Erstaunen. Dafür reichte sein Rauschen aus. „Mögacht, Kapitän Berrzak. Bin gleich soweit.“

„Unsre schöne Heimat / halt sie rein.“ Verwischte Wörter, die Wirtin. Hackedicht.

Der Smut verdrehte die Augen, stellte den Seesack vorm Tresen ab. „Meine Kammer ist sauber.“ Er ging in die Küche.

„Ich übernehme seine Schulden.“ Berrzak trat neben das Gepäckstück, grub wieder mal einen fremden Beutel aus der Hose, musterte die Einrichtung. Statt der alten Krugregale benutzte der Krugwirt nun Hängehalterungen. Wie der Hundwirt.

„Mögacht.“ Die Wirtin nutzte die Thekenkante wie er den Türsturz der Kellerklause, bekam indes den Schwung nicht hin und kippte vornüber, kam wieder hoch. Ihre Bluse scheiterte gekonnt am Verhüllen, der Stoff troff vor Feuchtigkeit. „Was darf es sein, Fremder?“

Ah ja. Es war schon was her, und er hatte meist Jorrgen dabeigehabt. Aber die Krugwirtin sollte ihn noch als Stammgast erkennen. „Danke, ich komme um den Smut.“

„Halte, halte, halt den Smut, den Schönen / Kommt er in die Küche, muss er stehlen.“

Hinter ihnen unterdrückte der Krugwirt ein Snickern, lehnte das letzte Querholz an die Wand und kam zur Theke. „Du singst fein, aber du tust ihm unrecht, Frau.“ Wonnige Strenge in seiner Stimme, die Wirtin reizte ihn auf mit seinem Einverständnis.

Die beiden nutzten Dritte als Werkzeug bei einem Geplänkel, das niemals ein Ende fand. Nach einem halbdutzend Krüge hatte dies Treiben Jorrgen belustigt, Berrzak war dann meist aufgebrochen. Auch sein neuer Koch hatte es hier nicht lang ausgehalten, im Übrigen zapfte der Hundwirt besser.

Der Smut brachte klappernde Gerätschaften in einem Tuch, räumte ein Stück Tresen frei, wischte mit einem Lappen drüber. Zahllose Humpen drängten sich da, dazwischen Weinbecher, winzige Rammakkrüge, Pötte, Kapitänsbecher und Libbsternäpfe. Alle klebrig und leer.

Der Krugwirt deutete darauf. „Wir trinken aus, bevor wir ums Leben rennen.“

Auch der tat, als habe er den Dragendöter vergessen. Unnatürlich. Vielleicht hielt er bloß seiner Frau bei. „Ringleute sind ein wackeres Volk“, bestätigte ihm Berrzak.

Der Smut derweil trocknete mit einem Tuchzipfel blecherne Henkeltässchen, stellte sie auf den sauberen Flecken. „Mehr finde ich nicht auf die Schnelle, hebt mir die übrigen auf.“ Er kam hinter der Theke hervor, raunte Berrzak zu: „Marmelade hatte sie drin, zum Fliegenfangen“, verstaute seine Habe im Seesack.

„Unsre schöne Heimat / halt sie rein“, die Krugwirtin blinkerte den Smut an, dann Berrzak, „schließ die Tore zu / bewach das Außen.“

Vermutlich sahen sie für Ringleute einander ähnlich, er und der Smut, von dem er nicht wusste, gehörte der zu DennDīnns Leuten. „Was bekommst du?“, fragte er den Krugwirt.

Der nannte eine niedrige Summe. „Für den Heiler. Wenn du die Kiste auslöst beim Pfandleiher, die Karre gehört dazu.“

„Willst du die Kiste haben“, sagte Berrzak zum Smut, sah zu, wie sich die Krugwirtin auf die Theke schwang, lang ausstreckte.

„Klar doch“, sagte der Smut.

„Gut.“ Berrzak wandte sich dem Krugwirt zu, zählte ihm die Münzen in die Hand.

"Jenseit!", japste der Krugwirt, stürzte an ihm vorbei und schloss den Zapfhahn, unter dem seine Frau gurgelte.

„Lass mich.“ Die Wirtin hustete. „Muss vorsorgen.“

„Mögacht.“ Der Smut nickte dem Krugwirt zu, stapfte aus der Tür. Auch Berrzak entbot das Mögacht, folgte ihm.

„Einst ließ Kim-kch“, Husten unterbrach die Wirtin, „Einst ließ Kimrak fremde Leute ein / lerne aus dem Unglück, halt sie draußen.“

Berrzak schloss die Tür. Das Lied hatte er zu oft gehört, verspürte keine Wehmut mehr wegen Kimrak von Dreiland, der doch nur seine Liebste hatte zurückerobern wollen.

„Früher oder später hätte ich sie- Heda.“ Der Smut verdrehte den Kopf nach Krah, der auf seinem Seesack zu landen versuchte. „Ah so, dein Jakobsvogel. Singt der auch?“

„Er kann seinen Namen sagen.“

„Harrk“, sagte Krah.

Hinter ihnen rumpelte ein Querholz in die Halter.

◊ ◊ ◊

Klappläden zuziehen. Drehriegel umlegen bis zum Anschlag, erst oben, dann unten, zum Schluss den in der Mitte. Sem setzte die beiden Balkenstücke in die Halterungen, schob sich rückwärts aus der Fensteröffnung. „Geschafft. Jetzt gehts mir gut von der Hand, beim Öffnen bin ich schneller.“ Er schloss den inneren Laden.

„Als wir die zuletzt verrammeln mussten, hab ich noch reingepasst.“ Der Hundwirt schob den Ruhetisch an seinen Platz zurück. „Dank dir, Sem von Außen. Hast du ein gutes Zimmer?“

„Wenn du so fragst …“

„Dein starker Arm ist willkommen“, sagte der Hundwirt. „Kämpfst besser als eins denkt, bist im Vorteil ohne Rauschen. Allerdings kann es umtriebig werden.“

„Hab’s mitbekommen.“ Sem war im Hafen gewesen, Hetten hatte ihm die Dragendöter zeigen wollen. Das Schiff war nicht auffindbar gewesen, verstimmt war Hetten mit ihm zurückgegangen, hatte sich empfohlen nach einem letzten Kapitänsbecher.

Kurz darauf hatten alle was von großem Durst geschrien und sich aufgeführt, als drohe ein Mannweffer. Sem war in die Laube geflüchtet, nicht für lang. Die Stille nach dem Chaos klang anders als die nach der Patrouille, vorsichtig schaute er nach. Gastraum leer, kein Vaudekla in Sicht. Wenig später leistete er Beistand gegen Plünderer.

Das Lob des Hundwirts war verdient. Hiro hatte ihn das Kämpfen gelehrt, hatte nach jedem Treffen ein Alle-gegen-Alle angestiftet, zwecks Übung. „Meine Zimmerwirtin ist Kräuterfrau“, sagte er, folgte dem Hundwirt in den Durchgang zur Küche, „aber sie lebt von Kuchen.“ Ringsherum Regale mit Geschirr und Küchenzubehör, es roch nach Gewürzen, vor überzähligen Stühlen standen Fässchen und Krüge, Säcke und Kisten, planlos verteilt. „Hattet ganz schön Betrieb heute im Lager.“

„War Liefertag für Omrak und so weiter. Den Trinkkram haben die Brauknechte verräumt, aber in der Früh ist Tine von Händler zu Händler gelaufen, hat einen Aufstand gemacht, daß sie schon heute geliefert haben. Wegen des Bauern gestern, und der ist dann auch noch gekommen. Kein Platz mehr hier oben, wir mussten auch die Holzfässer runterschaffen lassen, das kann noch was werden.“ Der Hundwirt blieb vor der Pforte zur Gasse stehen.

Von draußen bolzte etwas dagegen, Sem ging in Kampfstellung.

Seelenruhig entriegelte der Hundwirt die Tür, ließ den Kneipenhund ein, zeigte nach oben. „Schaff dein Zeug her, kannst die Kammer haben.“

Wohin wollten die alle? Sem tauchte ein in die sonst friedliche Gasse zwischen Dreihopfenweg und Kummetspfad, ins Flackern bewegter Lichtquellen, sah Menschen, wo Schatten liefen, wurde angerempelt, fing sich ein „Fremder Schleicher!“, dann einen Tritt. „Sing, Dösfisch! Dann kann eins mit dir rechnen.“

Er mochte nichts von daheim vortragen, womöglich scharten sich dann Leute um ihn, also dankte er Paula im Geiste, sang ihr Lied, ohne Atemstütze. Erster viel zu spät / von den kleinen Leuten, hier und da nahmen es andere auf.

Vom Kummetspfad ging die Hurtigbachsteige ab, am Ende lag das Haus der Kräuterfrau. Sie machte keinen Hehl aus ihrer Erleichterung, als Sem seinen Abschied verkündete. Er bewohnte das Zimmer ihres Sohnes. Der zog als Messerschleifer über die Dörfer, sie hoffte auf baldige Heimkehr.

Sem eilte mit Lampe nach oben, wich geübt dem Balken aus, der durch den Raum lief, packte seine Sachen in Koffer und Seesack. Entging wieder dem Balken, nahm die Treppe im Glühfischlicht, übersah die unterste Stufe und polterte in die Stube, die auch als Küche und Schlafraum diente.

„Hast ohne Kopf bringt schlecht voran“, sagte seine Wirtin, wie so oft beschäftigt mit einem Haufen langer Zweige, die sie tagsüber draußen auf der Hausbank schälte. Der trübe Blick heut morgen, als sie drinnen gesessen, war der Nachricht vom Trinkertod geschuldet, er legte ein Extra zu Miete und Kostgeld.

„Hab Dank, Sem von Außen, es kommt gelegen.“ Sie gab die gelochten Münzen in einen Beutel. „Zuletzt hatten wir den Trinkertod in meinen besten Jahren, da hab ich nach Wasser gehen können, in der großen Kiepe das Fass, und noch Scheite draufgepackt. Nun haben wir Sommer, werd nicht frieren ohne Brennholz, und für mich hol ich Wasser aus dem Bach. Aber fürs Geschäft muss ichs mir liefern lassen.“

Auf dem Rückweg wusste er das Getriebe besser zu deuten, die meisten Leute schleppten Fässer und Schläuche, Esswaren auch. Eine Lücke tat sich auf, er sah die Seitenpforte des Bunten Hund, fühlte ruckartig Erleichterung. Ein schönes Gefühl, er federte in die Höhe.

Begriff den Grund, machte kehrt, am Boden sein prallgefülltes Gepäckstück, darübergebeugt eine spillerige Gestalt. Ein Stoß mit dem Koffer, Fuß auf den Seesack, hineinverkrallte Finger zogen daran, brachten ihn ins Stolpern, die Finger ließen los. Das nutzlose Tragegestell rutschte ihm von den Schultern, hinderte ihn am Zupacken, er streifte es ab.

Durch die Handschlaufe auf der Rückseite griff er glattweg hindurch, sie war zerschnitten, er bekam den Sack nicht zu greifen, vor seiner Nase zerrte der schmächtige Dieb ein Stück Zeug heraus, wieselte zwischen die Leute und war verschwunden.

Ein Kind? Wie auch immer es rangekommen war, es hatte den Sack zwischen Sems Schulterblättern ausgehängt, unten den Stoff aufgeschlitzt und die Trägerhaken herausgerissen.

„Möge dich Holion verdampfen!“ Sem fiel auf die Knie, raffte die Tragegurte vom Boden, packte sie samt Koffer auf den Sack und umarmte beides, die aufgerissene Stelle an den Unterleib gepresst. Kämpfte sich auf die Füße, benutzte die Last auf den letzten Spannen als Ramme, trat gegen die Pforte.

Sie schwang sofort auf, „Bist du leck gegangen“, der Hundwirt riegelte zu, „Stell ab“, nahm eine Kordel von irgendwoher, verschnürte den Seesack damit, nutzte sie als Griff, wunderte sich kein Stück.

„Ein Kind war das, nicht zu fassen.“

„Hafenkinder“, verbesserte der Hundwirt, „arbeiten zu zweit. Hast was ausgefressen.“

Keine Frage, Sem gab keine Antwort. Galt er hier als schuldig, wenn er dreist bestohlen wurde? Mit dem Koffer folgte er dem Wirt in den Raum hinter der Theke, dort lagerten Kisten mit Flaschen, Krüge in Körben, das Sprechrohr mündete in die Wand zur Küche. Im Winkel wendelte eine Treppe vom Dachstuhl herunter, auf den Stufen zum Keller lag eine Holzkonstruktion wie eine Rutsche für Kinder.

„Tine hat sich hingelegt.“ Neben dem Aufgang hing ein Glühfisch am Hakenbrett, der Hundwirt griff danach, „Kriegst auch einen, erinnre mich dran“, verschwand treppaufwärts.

Mit dem Licht, Sem machte hinterher, oben verloren sich Dachbalken in der Finsternis, keine Bedrohung für seinen Schädel. Eingezogene Wände schimmerten schwach, hinter einer davon lag die Schlafkammer der Wirtsleute.

Der Raum über der Pforte besaß eine Luke zur Gasse und ließ sich verriegeln, in dumpfer Hitze stellte Sem seine Sachen ab. Öffnete die Läden, dazwischen ein Tuch, keine Fensterscheibe.

Neben dem Küchenherd stand ein Tisch, bemessen für Versammlungen. Der Wirt ließ sich nieder, Gesicht zum Lager, hinter ihm hochliegende Fenster, vergittert. „Schau dich um, lern das Schiff kennen.“

Rechts die Tür zum Hof, Sem trat hinaus. Irgendwas plätscherte, der Lichtschein erfasste Kroppzeug, zu gepflegt für Unkraut. Tines Kräutergarten. Zur Obstwiese hin ragte eine stattliche Außenmauer, ein Schwachpunkt die Pforte, ihre Streben immerhin aus Metall. Augen umgewöhnt, er sah einen kleinen Brunnen, ähnlich dem vor der Laube, aber keinen Abort.

„Lass auf“, meinte der Hundwirt, „die Pforte hält was aus.“

„Ist recht.“ Hinterm Wirt durch ging er zur dritten Tür, schaute in einen kleineren Hof mit zwei Verschlägen. Lugte in den ersten, war richtig, hörte beim Pinkeln den Lärm der Gasse.

Zurück in der Küche, füllte der Wirt zwei Krüge aus einem Fass.

„Die vielen Leute draußen“, bemerkte Sem, „werden den Trinkertod verbreiten.“

„Mennesch, das ist Sache von Leutholers Scharen. Das Austernfieber lockt sie aus den Fanggründen, sie laufen hinterher und bringen den Durst. Nach der Seelenernte halten sie Ruhe, um die drei bis fünf Dekaden.“ Der Hundwirt hakte die Kelle an den Fassrand, klappte den Deckel zu.

Sem dachte an seinen Seesack, wie hakte den ein Kind aus.

„Nicht die dümmste Legende“, sagte der Hundwirt. „Kannst einen wegtragen, der dran verreckt ist, bleibst gesund. Vor bald zweihundert Jahren ist Temme davor geflohen mit seinen Leuten. Alle hat der Durst geholt, ihn nicht.“

„Temme …“ Was schrieb Berrnek von Omsten nochmal zu Temme?

„Temme von Oosland. Der Steinmetz, der dann den Schatz auf den Kalkinseln gefunden hat.“ Der Wirt schob ihm einen Krug zu.

„Ah so.“ Sem setzte an. Wasser.

„Hat dich der Durst erwischt, musst du immerzu trinken, nie ists genug. Du vertrocknest von innen, bis dir die Haut in Falten vom Leib wegsteht.“

„Holion.“ Hätte er der Kräuterfrau Wasser bringen sollen? Drum gebeten hatte sie nicht.

Der Wirt war in Spendierlaune, erzählte weiter. „Anfangs kämpfen die Kranken an den Schöpfstellen um den Eimer, ziehen durch die Straßen und plündern. Später steigen sie in die Brunnen, legen sich in Bäche, saufen Essig aus Fässern, Gurkenwasser und Öl. Zuletzt hängen sie über den Piers. Hab selbst versucht, das Meer auszutrinken, es ist wie eine Lust. Wirst sie nie wieder ganz los.“

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