11. Roste in Frieden
Siebter September, Kazon
Die Fronten der Brauergasse, Winkel wie im Rausch erbaut. Verbarg sich Freund DennDīnn in einem?
Berrzak suchte vergeblich, und das Kom behauptete, er schwanke, obwohl seinen Körper höchstens ein Zittern durchlief. Er lehnte sich an die Wand des Wohntrakts, die Läden der Küferei waren geschlossen.
Kein Hindernis für die Stimme von Altmam Perri. „… denn wen der Leutholer gefangen hat, den gibt er nicht wieder her. Seit Anbeginn giert er nach unseren Seelen, darob ist er klug geworden.“ Eine der Legenden, die in der Spätschule erzählt wurden.
„Altmam, er steht vorm Fenster!“ Eine Mädchenstimme.
„Liebes, der Leutholer kommt nicht selbst. Er schickt seine Helfer. Der da draußen tut keinem was, er will zu meinen Enkeln.“
„Er rauscht aber komisch.“
Allgemeine Zustimmung.
Die Altmam spürte Berrzaks Erheiterung, veranstaltete ein Gepolter, als vertreibe sie Geziefer aus einem Möbelstück. Damit überspielte sie ihr Lachen, die Wehmut auch. Jorrgen hatte ihr einst versprochen, sie dürfe zuerst nach droben gehen. „Wir singen ein Lied“, verkündete sie, „böse Leute leiden beim Klang von Kinderstimmen.“
„Das sagt mein Pap immer“, bestätigte ein Junge. „Wenn ich Angst hab, soll ich singen, weil dann rennt selbst der Leutholer.“
Mehr Gepolter. „Erster viel zu spät“, begann vergnügt die Altmam.
„Von den kleinen Leuten“, schmetterte die Spätschule.
Jeder kennt dieses Lied. Wird es sich verändern? - Da kommt Perri. Berrzak hämmerte ein Klopfzeichen, alter Scherz unter starken Rauschern. Die Tür wurde aufgerissen, Schulterdrücken.
Kurz nur, dann besahen sie einander. Perris zu Zotteln gedrehtes Haar sah aus wie eine Perücke aus Leinenstücken, es reichte ihm mittlerweile bis über die Schlüsselbeine. Stand ihm gut. Seine Haltung und sein Rauschen zeigten Erstaunen über Berrzaks Zustand.
Nach Art der Ringleute nannte er das Übel nicht beim Namen, lotste ihn ins Haus, ließ Krah folgen. Stuben- und Küchentür blieben geschlossen, besser so. Als Kapitänsschüler hatte Berrzak zunächst bei Jorrgens Familie auf Rabazon gewohnt, dann war Jorrgen, damals schon Küfergesell, einem der schönen Kazondger Mädels begegnet, er hatte sich mit ihm zusammengetan und in der Küferei des Schwiegerpap gearbeitet.
Durch deren Flur sie jetzt schritten, fortan hatte Berrzak die schulfreie Zeit hier bei Jorrgen auf Kazon verbracht. Jorrgen war eine Dekade früher in der Welt gewesen gewesen als er, ein trefflicher Kamerad, und sein Gespons mit glücklicher Hand gewählt. Bis zum Einzug von Mam Perri hatte Berrzak sein altes Zimmer beziehen dürfen, wenn er auf Kazon zu tun hatte.
Unten trat ihnen Pitt entgegen. „Mögacht, Kapitän Berrzak. Du bist es doch?“
„Ho“, Perri fand die Sprache wieder, „Ähnlichkeit ist vorhanden, aber auch Verstörendes.“
„An deinen Fahrten wollen wir dich erkennen.“ Pap Perri, Jorrgens Sohn. Friedfertig als Wickelkind, später hatte er Mam Perri ins Haus gebracht. Von ihm hatte sich die Familienähnlichkeit früh verabschiedet, er schien für sämtliche Generationen ein Soll an Fülle und Haarverlust aufzuarbeiten. „Von Zeitland kommst du, gib uns ein Stichwort zur Fahrt davor.“
Berrzak fühlte ein Grinsen wachsen, sah es gespiegelt bei den anderen. Artig gab er Antwort. „Dengmar.“
„Mögacht, Kapitän Berrzak.“ Pap Perri gab die Pforte zur Kellerklause frei.
Dort drinnen hatten sie Perris erste Brauversuche verkostet, Berrzak spürte zwei Rauschmuster, aber keinen Simmen. Es war ihm längst klar gewesen, und doch – vielleicht ein weiterer Streich seines Kom? Er betrat das Gewölbe, freute sich wie immer am Anblick der markanten Tischplatte, die auf ausgemusterten Fässern ruhte, strich mit der Hand darüber. „Riecht nach alten Zeiten.“
„Zweifelsfrei der echte Kapitän Berrzak“, meinte hinter ihm Pitt. "Kaum da, schon denkt er ans Essen."
Kein Simmen zu sehen. Berrzak grüßte Homme, der strahlte wie ein Glühfisch, blieb aber an ein Fass gelehnt, als sei auch er angeschlagen. Die Stütze teilte er sich mit einem anderen Knaben, etwas älter als er. Wohlgestalte Jugend, blanke Gesichter. Blanke Unwissenheit, das tat sich zusammen, gründete Familien, vorbei der Glanz.
Berrzak rief seine Gedanken zurück ins Hier und Jetzt. Er brauchte eine Kom-Stütze, die Homme bei Bedarf die Last abnahm. Dieser Knabe eignete sich nicht dazu, und es ging ihm miserabel. „Wie heißt du?“, fragte Berrzak.
„Dieseit, ich hab’s vergessen“, rief Homme, bevor der Knabe den Mund aufbekam.
„Wie dein Freund heißt?“
„Das Vorstellen, Kapitän Berrzak. Das ist Kanda, er fährt noch nicht so lange zur ...“ Unter Berrzaks Blick versiegten Hommes Worte.
Der war noch nie auf Fahrt.
Hommes Freund zog eine Grimasse. „Ich bin Quartmatrose. Mögacht.“ Der wollte nicht unfreundlich sein, er konnte nicht anders.
„Dieser sonst sehr liebenswürdige Baumgärtner“, sagte Pap Perri, „ist der Sohn des Pap Sanda von Holzland, dem wir die schönste Allee der Inneren Inseln verdanken.“
„Homme möchte Kanda gern dabeihaben.“ Perris Rauschen bat für Homme, seine Miene zeigte Zweifel am Kandidaten.
„Ich hab schon wen.“ Auf einer harmlosen Schatzfahrt durfte der Decksjunge keinen Freund dabeihaben? Berrzak nickte Kanda zu. „Du fährst mit bis Rabazon, dann sehen wir weiter.“ Der Knabe nickte ebenfalls. Der hatte keine Nachricht für ihn, er kam nicht von DennDīnn. Blick in die Runde. „Das wird eine Fahrt ohne Lieder.“
„‚Mir bleibt die Arbeit liegen, wenn ich mit euch warte.’“ Pitt ahmte Simmens Stimme nach, tat einen Nörgelton dazu.
Perri nickte. „So tönt er jetzt, vielleicht nicht seine Entscheidung.“ Eine Anspielung auf Simmens Hundsbraut, beliebt wie Schmerz.
„Ich hab ihn besucht“, sagte Homme, wandte sich an Kanda. „Wollte ihn überreden, daß er mitfährt. Du musst ihn nur in die Kombüse tun, dann singt er. Da siehst du nicht grad Bilder, wie bei einem Erzähler, aber es ist die ganze Zeit, als käm gleich was Schönes.“
Das klappte nur beim Kochen. Sollte Simmen auf Freigang ein Lied vortragen, fiel ihm keins ein. „Perri, schlag an“, sagte Berrzak, „wir wollen seiner gedenken.“
Kanda machte große Augen. „Als wär der droben.“ Der Knabe schwankte. Wirklich, keine Vorspiegelung des Kom.
„Haut dich das um?“ Homme musterte ihn. „Er war ein guter Schiffskamerad, nun liegt er auf ewig vertäut im Hafen der Familie. Was ist mit dir, du-“
„Hab mir was eingefangen. Sommergrippe. Kopf tut weh, Fieber und so.“
„Sommerkrippe?“, erkundigte sich Pitt bei Perri.
Der zuckte die Achseln. „Du bist der Gelehrte.“
„Setz dich“, sagte Homme. „Gleich gibt’s Hausgebräu, das hilft gegen alles.“
Kanda schob sich auf eine Bank wie ein alter Mann, Homme ließ sich neben ihm nieder, zeichnete die Dellen und Löcher in der Tischplatte nach. Brandschäden, und doch schön, so wie das nur ein Fänger hinbekam.
Perri schubste Krah vom Fass und stach es an, ein Küfergehilfe im väterlichen Betrieb, des weiteren gelernter Brauer mit Meisterbrief.
Berrzak nahm den kleinen Krug entgegen, der ihm vorbehalten war, schnupperte am Inhalt. Kazondger Perri Hausgebräu, selbst den Zwergen ein Begriff, er hatte nie gefragt, warum Perri das Brauen nicht ausreichte. „Freund Simmen, roste in Frieden.“
Während der ersten Runde erzählten sie einander von Simmen. Eins seiner Lieder hatte er für Homme in eine Muschel getan, hatte sie mit einem Pfropf aus Salzteig verschlossen. Laut Homme war es noch immer drin. Solche Schalen rauschten nun mal, Treibgutsammler boten sie feil, auch Platten wie diesen Tisch, einst Bestandteil eines Schiffes.
Zweite Runde, zum Duft des Omraks gesellten sich Gerüche von oben. Berrzaks Stimmung hob sich, hier zeigte ein wohlbestelltes Haus seine Annehmlichkeiten. Er konnte sie nutzen, musste nicht bleiben. „Auf meinen ersten Verzug.“
„Wohl wahr“, sagte Pap Perri, „wir glaubten dich eher droben als verspätet. – Da ruft die Küche.“ Er ging nach oben, brachte wenig später einen Korb, dampfend in der Kellerkühle, begann Brotfladen aufzuschneiden.
„Harrk.“ Krah hüpfte auf den Tisch.
Homme rupfte ein Stück Brot klein für ihn.
„Mögacht allerseits.“ Mam Perri, mit Altmams mächtiger Backform. Sie packte sie aufs Holz, wo dessen Schwärze von vergangenen Zusammenkünften zeugte. Wickelte die Hände aus den Tüchern, sah zu, wie vier Mann ihren Fladen füllten, stumm vor Esslust.
Auch Berrzak sah zu, ein Grummeln in Magen und Kehle. Der Eierkuchen war mit Schinken und Speck zubereitet, er roch es, sah die Würfel.
Perri zog sein Messer, spießte zwei davon auf, einer hell, einer rot. „Blühkopf und Bohnen.“
„Wo kommt dann der Fleischgeruch her.“
„Der bleibt mein Geheimnis“, sagte Mam Perri, „du kannst unbesorgt davon essen.“
Pap Perri befüllte einen Fladen, reichte ihn rüber. Berrzak kämpfte mit einem Andrang von Speichel, stellte sich vor, wie Mam Perri in Vorahnung seiner Ankunft Blumenkohlstrünke und rote Bohnen zu Würfeln verarbeitete. Hieb die Zähne hinein, schmeckte in Öl eingelegtes Würzgemüse nach Altmams Art.
„Das stimmt?“ Kanda schaute ihn an, Miene besorgt. „Kapitäne dürfen kein Fleisch essen?“
„Mh-mh.“ Essen oder sprechen. Jedes zu seiner Zeit.
„Mh-mh wie nein, oder mh-mh wie ja?“
„Hast wohl Großes vor.“ Pitt.
„Ja, ich meine, nein, aber was denn jetzt?“ Kanda.
Homme musste lachen, seine Eltern schmunzelten, Perri warf Berrzak einen Blick zu.
Berrzak aß. Ei mit Würzgemüse klang nach nichts Großem, aber es passte wunderbar zu Brot und Omrak.
„Kom-Kapitäne wollen kein Fleisch, aus Sorge um ihre Seelen.“ Mam Perri. „Kapitän Berrzak sieht die Verheißung schimmern hinterm Horizont, selbst wenn sie offen vor ihm liegt. Er ist immer auf Schatzfahrt, ein gefährliches Leben. Jeden Abend bei klarem Wetter habe ich geschaut, ob ich die Dragendöter nach droben fahren sehe.“
Berrzak hielt mit Kauen inne, schaute sie an. Mit Stimme und Rauschen ließ sie ihn wissen: keine Gegenrede, oder ich kreische, bis du mich schlagen willst, aber du wirst mich nicht schlagen. Wusste sie etwas? – Nein. Sie plapperte, wie stets bemüht, ihn zu reizen.
„Spaßt nicht mit der Drobenwelt“, sagte Mam Perri, obwohl niemand etwas gesagt hatte. „Es sind schon mehr Dinge von droben gefallen, als einer zählen kann.“
Nichts fiel von droben, selbst Krah tat nur so. Es war eine Redewendung.
„Da hast du recht, meine liebe Frau, aber du irrst dich in der Richtung. Die Fänger speien die Schiffstrümmer aus, zur Freude der Treibgutsammler. Die Tore nach Droben liegen in ihren Zentren, aus denen sieht kein Auge etwas fallen. Und nun wollen die jungen Männer unter sich sein.“
Junge Männer. Berrzak stand auf, schluckte den letzten Bissen, verneigte sich übertrieben, kam mit dem Gesicht voller Haare wieder hoch. „Hab Dank“, er befreite den Mund, „für die Bewirtung.“
Pap Perri zwinkerte, geleitete seine liebe Frau hinaus, Berrzak erwischte ihren heimlichen Blick, sie verkniff das Gesicht vor Ärger, schaute weg.
Wohl wahr, er wirkte jünger als Pap Perri, trotz elf Jahren Altersunterschied. Eine Begleiterscheinung des Kom, so wurde vermutet. Nahm sie es ihm übel?
Wüsste er ein Rezept dafür, er würde kein Geheimnis daraus machen, so wie sie aus dem Fleischduft ihres Eierkuchens, der ihm verholtament noch immer den Mund wässrig machte. Er angelte sich den nächsten Fladen.