Auf Schatzfahrt. Roman.

7. Wie hast du ihn erkannt?

Siebter September, Kazon

„Wie mach ich das einem von Außen klar. Wart mal …“ Hetten winkte dem Wirt.

Der Hundwirt erwachte aus kurzer Geistesabwesenheit, sah sich um nach einem der kleinen ‚Kapitänsbecher‘, die Hetten bevorzugte. Rauschte davon.

„Wollte ihn nur was fragen“, meinte Hetten. „Schwierig als Stammgast.“

Sem nickte, er saß noch am ersten Literkrug. Nach der Patrouille gestern war er zu seiner Bleibe gegangen, hatte die Kladde nachgeführt.

Obwohl es keinen Sinn machte, nach dem verschollenen Vorfahr zu forschen. Viel zu lange her. Im Unverstand des Kindes hatte er Großmutter die Suche versprochen, für ein Abenteuer gehalten, überm Älterwerden war der Reiz vergangen. Sina freilich hatte ihn wieder aufleben …

Das war vorbei. Wozu herumfragen, er fiel auf unter Ringleuten. Wer einen wie ihn kannte, würde ihn darauf ansprechen. Trotzdem schrieb er alles auf, das ihm unterkam. Wenn ihm die Zeit lang wurde, konnte er einen brauchbaren Reiseführer daraus machen, da bestand offensichtlich Bedarf. Er könnte ihn hier drucken, vielleicht sogar Zeichnungen einbinden lassen, für die Lieben in der Heimat, und den Überschuss verkaufen. Oder er schrieb eine Reiseerzählung.

Lasen Ringleute? Immer sah er sie anderweitig beschäftigt, und sei es mit Schwatzen. Mit Schnacken, wie sie hier sagten. Heute morgen allerdings hatte seine Zimmerwirtin untätig und trüben Blickes in ihrer Stube gesessen, statt wie sonst vorm Haus, umgeben von Leuten und Gewächsen. ‚Mir fehlt nichts, danke der Nachfrage. Gleich bereite ich dir den Nachtspan.‘ So nannte sie die erste Tagesmahlzeit, für das Mittagessen hatte sie ihn auf den Kuchen von gestern verwiesen. Sie müsse zum Fluss, Salix schneiden.

Beim ‚Salix‘ dürfte es sich um ein Gewächs handeln, aber Flüsse gab es keine auf Kazon. ‚Ringleute nennen ein Rinnsal schon Fluss‘, schrieb Berrnek von Omsten, ‚Frischwasser in schiffbarer Menge verstört sie.‘

Am späten Nachmittag hatte Sem vom Kuchen ein Anstandsstück zurückgelassen, war trotz neuerlichem Wolkenbruch in den Bunten Hund gegangen. Mit dem Mehl hielt eine Schale Hund gut satt, und was Ringleute selbst erzeugten, verkauften sie wohlfeil.

Er hatte auch Hetten einen spendiert, und nun ging Hetten in die dritte Runde Omrak auf Sem. Der Alte wollte ihm das Rauschen begreiflich machen.

„Wirt“, rief Hetten, „wo ist deine Frau?“

Spülen, austropfen, Zapfhahn, der Hundwirt brachte den Omrak. „Im Kräutergarten.“ Er langte nach Hettens anderem Becher.

„Der bleibt hier, da ist noch was drin.“ Hetten hielt beide fest. „Es regnet, was tut sie da?“

„Gräbt und rupft und heult ein bisschen.“

„Woher weißt du das?“

„Trink schneller, dann gehts wieder.“ Der Wirt wollte sich abwenden.

„Ist für Sem von Außen, er will das Rauschen verstehen.“ Hetten deutete mit einem Becher auf Sem, folgte dann dem Rat des Wirts.

Immer dieses ‚von Außen‘. „Hört bitte auf, mir den Fremden unter die Nase zu reiben.“

H’che. Das bleibt, solang dich selbst ein Kapitän nicht spürt.“ Im Weggehen beklopfte ihn der Hundwirt mit einer Pranke.

Wahrscheinlich freundlich gemeint, Sem ging nicht zu Boden. Beim Ausbalancieren bemerkte er eine Gestalt im Dämmer zwischen den Eingangstüren, dem Luftzug nach sprach sie mit jemandem, der draußen im Regen stand. „O Holion“, stöhnte er.

„Wer holt die Onn?“

„Frag sie selber, da kommt der Schwätzer von gestern.“ Der Zecher in der Lederweste, Sems Flucht in den Hof hatte ihn nicht abgewimmelt.

„Tür bei!“ – „Loch zu!“ Einige Gäste zeigten ihren Unmut.

Der Zecher, schon am Gehen, feixte und blieb stehen.

Aus dem Durchgang neben der Theke kam der Schlacks von neuem Koch, zeigte mit einem Stück Kreide auf den Zecher, „Es zieht, Mann“, schob ihn vor sich her nach draußen.

„Den hätt ich jetzt nicht verknusen können“, sagte Sem. „Ihr seid doch sonst so zurückhaltend.“

Hetten nahm die Nase aus dem frisch befüllten Humpen. „Er glaubt, du kannst wie die Vaudekla dein Rauschen eine Zeitlang verbergen. Also muss er nur lang genug neben dir stehen, und seine Welt ist wieder heil. Wie hast du ihn erkannt?“

„Wie wohl? Er hat doch in der Tür gestanden.“

„Nicht sehr hell dort“, gab Hetten zu bedenken. „Gestern hatte er nur die Weste an, heute Mantel und Mütze.“

„Hat mir gereicht, um die Gestalt zu erkennen.“

„Eben, und beim Rauschen erkennst du die Denkgestalt. Das heißt, du nun gerade nicht. Du bist ja einer von Außen. Heck heck heck.“

Hettensches Gekecker, zu knuffig, um Sem zu verdrießen. „Der Wirt hat also Tines Gedanken gelesen-“

„Mennesch, er kennt ihr Rauschmuster. Spürt, wo sie ist, wie sie sich fühlt. Was sie tut, kann er sich denken.“

„Klingt nach nicht viel.“

„Lebst gut ohne Trauben, solang du sie nicht kennst“, bemerkte Hetten.

Da schau her. „Und die Vaudekla verbergen ihr Rauschen, damit der Mannweffer sie nicht umhaut?“

„Damit sie niemand kommen spürt. Ein Meister, vier Stützen für sein Kom, als Patrouille sind sie vorm Mannweffer geschützt. Beim Krugwirt ist mal einer auf dem Abort zusammengeklappt, war als Gast da.“ Heck heck heck.

Im Bunten Hund hatte er noch keinen Vaudekla gemütlich was trinken sehen. Wie war das einzuordnen, hielt es der Krugwirt mit der Regierung? „Warum werft ihr sie nicht raus? Sie unterdrücken euch.“

„Dieseit! Auf sowas kommt nur einer von Außen. Steuerst du dann die Schiffe, hockst dich in die Türme, machst den ganzen Kram? Ihre Kom-Werker bauen Kapitäne, die lizenzlosen pfuschen bloß rum.“

Kapitäne bauen. Wieder dieser Lokalhumor. „Klar doch. Mach dich nur lustig über Sem von Außen.“

Wumm, die Kammertheke, diesmal getroffen von Hettens Fuß. „Ich spreche wahr, es ist dein Gebrechen, wenn du das nicht spürst. Ich bin Netzstricker, Segelflicker, ich erkläre, wie mir das Maul gewachsen ist. Wenn du mehr Schnörkel brauchst, dann frag den Gelehr—“ Hetten unterbrach sich, spähte zur Tür. Wo sich nichts tat. „Besser noch, frag ihn.“

Dieser Netzstricker und Segelflicker war nicht so dumm, wie er tat, er kannte das Gleichnis von den Trauben. Kam da jedes Volk drauf, oder hatte es einer von Außen gebracht?

Wieder Zugluft, sie wehte den neuen Koch herein, er strebte zur Küche, ohne die Innentür zu schließen. In der ein riesiger Hut mit Krempe erschien, gefolgt von einem Mann in grellblauem Kurzmantel, das Ding strotzte vor Verzierungen und warf Reflexe. Um die Beine schlackerte weißer Stoff mit bunten Streifen und weiterem Glitzerzeug.

Was für ein aufgetakeltes Mannsbild, der Kerl schritt geradewegs zum Ruhetisch, der den Wirtsleuten vorbehalten war. Sem beugte sich über die Theke, sah den Mantel dampfen in der Kneipenluft.

Von rechts wanderte eine Hand in sein Sichtfeld, die Finger schnappten auf und zu. Sem wandte den Kopf. „Hetten. Was soll das?“

„Ich zeig dir den Schnappfisch. Wenn du ihn noch lange so anstarrst, brät er uns mit dem Kom eins über.“ Hetten zog den Schnappfisch ein, nickte Richtung Ruhetisch.

Wo der neue Gast Hut und Mantel abgelegt hatte, einen Haarwust ordnete, der jeden braven Kamm erzittern ließ, den Gastraum musterte. Im Licht der Fackeln und Steinleuchten wirkte seine Haut mattbraun, wie die von Hetten und Perri und allen hier.

Also doch bloß ein Ringmann, wenn auch größer als die meisten, und fast so hager wie der neue Koch. Wollte er das verbergen mit der protzigen Kleidung? Warum? So fiel es erst recht auf.

„Mach den Mund zu, Sem von Außen.“

Sem bemerkte, daß er noch immer über der Theke hing, ließ sich zurücksinken. Verspürte Bedauern, weil Hettens Nische ihm die Sicht nahm. „Wer ist das?“

„Jenseitszeiten. Du fragst ein Loch in den Hundwirt und erkennst ihn nicht?“

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