Auf Schatzfahrt. Roman.

5. Faste und gieße in dich

Sechster September, Kazon

„Erster viel zu spät / von den kleinen Leuten. Zweiter schon längst da—“

„Paula. Leiser, sonst schimpft die Altmam.“

„… weiß sich nichts zu deuten.“

Die Zurechtweisung fand so mühelos in Sems Kammer wie der Wind und das Kinderlied, und sie kam spät. Paula befand sich geschätzt im fünften Durchlauf.

„… durchgefahren / Schatz gepackt.“

„Wenn du nicht hörst, rufe ich die Vaudekla, die nehmen dich mit in ihren Turm. Wie heißen sie richtig?“

„Die Vaudekla heißen wie alle Leute nach ihrer Herkunft“, leierte die Kinderstimme. „Ein Vaudekla ist ein von den Klainen. Zwei Vaudekla sind zwei von den Klainen. Und ich bin die kleine Paula.“

Das Lachen der Frau, ein Schmatzer, Paulas Snickern. „Mam, da sind ja schon die Vaudekla.“

„Was du denkst, kommt zu dir.“

Sem schloss die Kladde, trat ans Fenster. Es ging auf die Hurtigbachsteige, neben jedem Hauseingang fügte sich eine Bank ins Steile ohne ausgleichendes Podest. Mam saß am hangabwärtigen Ende, auf der niedrigen Seite ließ Paula die Beine baumeln.

„Ist das gut?“, fragte Paula.

„Kommt drauf an“, sagte Mam, fuhr sich durchs Haar. „Sieh nur, wie hübsch sie sind.“

Eine Gruppe Männer strebte vorbei Richtung Hafen, nickte den Leuten in der Gasse zu, ohne den Schritt zu verlangsamen.

Nicht hübsch, sagte Paulas Schmollmund, dann erhellte sich ihr Gesicht. „Und wenn ich ganz fest …“

„… an Honigschnitten denke?“ Mam nahm Paula auf den Schoß, die beiden strahlten einander an.

Sem blickte den Vaudekla nach. Seine jüngsten Kenntnisse über die Ringinseln entstammten dem Werk eines ‚Berrnek von Omsten‘, er hatte es auf der Anreise von Zwergen des Frachters geliehen. Der Verfasser skizzierte unterhaltsam die Eigenheiten der Vaudekla-Kaste, leider verstand ihn Sem nicht immer. Daheim, zum Auswanderertreffen, war Hiro eines Abends mit einem Wälzer von Reisebeschreibung gekommen. Der warnte wortreich vor einer unerbittlichen Obrigkeit.

Die dort unten trugen entstellende Bartfrisuren zu albern gestutztem Löckchenhaar, fünf Männer etwa von seiner Statur. Unter Ringleuten galten sie vermutlich für schlank und hochgewachsen. Insgesamt harmlos.

So oder so schien der Schreiber des Wälzers die Ringinseln vor langer Zeit besucht zu haben. Die ‚wunderschön gezeichneten, friedvoll in ihren Gläsern blubbernden Glühfische‘ hatten sich als zwergische Leuchtsteine entpuppt, selbstredend importiert, und die ‚unberechenbare, wundersam erzeugte Zwergenkraft‘ war Sem überhaupt noch nicht begegnet.

Nirgends wurde erwähnt, daß Ringleute einen Fuß hoch in die Luft sprangen, wenn er sie unversehens ansprach, stattdessen klagte der Verfasser, kaum ein Wirt steche noch hölzerne Fässer an. Dann sang er seitenlang das Lob des würzigen Dunkelbieres, dem die Schankanlagen viel vom Charakter nähmen.

Holzfässer hin oder her, Omrak mundete vortrefflich. Sem legte die Kladde in den Metallkoffer, schloss ihn ab. Er würde was essen beim dicken Wirt im Dreihopfenweg.

Seine Zimmerwirtin führte eine süße Küche, bezogen auf Portionen und Geschmack. Allerdings ohne Verlass. Gestern hatte er bei der Heimkehr einen Krug auf dem Tisch vorgefunden, sich im Nachdurst drüber hergemacht. Hatte Wasser geschluckt, bitter wie aus einer Heilquelle. Ein Gaumenkrampf.

Auf der Treppe erwog er einen Strandspaziergang, unten trieb ihm eine Bö die Haustür vor die Brust. Er konnte eben noch mit dem Kopf ausweichen, trat hinaus in einen Regenguss. Wetterumschwung.

Zwei Gassen weiter sah er schon die Rückfront, näherte sich an der Obstbaumwiese vorbei dem Bunten Hund. An der Seitenpforte lehnte Homme, Gesicht zum Holz. Was trieb er da, Sem wollte grüßen, bemerkte das aufgetürmte Haar zwischen Knabe und Tür.

Homme war wohl nicht der hellste, Kanda hatte das Mädchen vor aller Augen belatschert. Oder er ist blind verliebt, da gibt es doch noch so einen. Sem legte einen Zahn zu, das lag tausende von Meilen hinter ihm, vergangen und erledigt, er stapfte durch den Eingang, Rücken an Rücken reihten sich die Gäste am langen Tresen.

Die alten Tücher mit den Netzen dran waren verschwunden, er hatte freien Blick auf den großen Gastraum und die Kammer, wie Perri den Nebenraum genannt hatte. Kein Tisch frei, nur ein Hocker am kurzen Thekenstück. Er setzte sich neben einen Ringmann mit weißem Bart und graumeliertem Zopf, sie tauschten den Mögacht-Gruß.

Der Alte lehnte halb im Mauerwerk, dort war ein Stück der mächtig breiten Wand herausgebrochen. Die Nische war verputzt worden, mit einer Katzensilhouette verziert, ein Sitzbrett eingefügt. Nicht der schlechteste Platz. Der Bezopfte überblickte die Kammer, den größeren Teil des Gastraums, konnte dem Wirt zusehen.

Hunger? Vorerst bestellte Sem nur Omrak, erhielt ihn postwendend. Nun konnte er sich vor Ort schlau machen über den Kapitän, dessen Mannschaft sich gestern wundersam bedeckt gehalten hatte.

Auf dem Frachter hatte er bisweilen einen Zwerg zu den Ringinseln befragen dürfen, im Tausch gegen ein Lied. Der Name Berrgar war gefallen, ein Kapitän und Vermessungsgenie. Ein Ringwächter namens Kimrak hatte vor hundert Jahren übel was verbockt. Beim schönen Zorrgan ging es um Mh-Mh, das war ihm dunkel geblieben. Zwerge sprachen wenig, reimten gern auf Kosten der Verständlichkeit.

So viel zu den geschichtlichen Persönlichkeiten. Unter den Lebenden weilte Berrzak von Oosland. Ein guter Kom-Kapitän, aber ruhiger geworden, und die Zwerge eines anderen Frachters hatten ein Schiff für ihn hergerichtet.

Warum dieser Berrzak einst bekannt gewesen, was aus seinem Ruhm geworden, blieb ebenfalls unklar. Er fragte den Wirt nach ihm.

„Der war schon lange nicht mehr hier“, sagte der Wirt.

„Fährt er Passagiere?“

„Der Dragendöter? H‘che.“ Ein Geräusch wie ein Husten nach innen. „Er ist ein freier Kapitän.“

„Aha?“ Sem ließ Wissbegierde mitklingen, neben ihm gluckste der Alte.

Der Wirt, der sonst mit jedem gern schwatzte, kam nicht etwa in Gang, er wandte sich ab. Ließ Omrak in Krug um Krug rauschen, ohne zwischendrin den Hahn zu schließen, brachte alle auf einmal zu einer krakeelenden Gruppe, die sofort verstummte. Als jeder versorgt war, tauschten sie Blicke, setzten den Krug kurz auf, tranken an. Brüllten übergangslos weiter.

Der Wirt derweil, statt endlich auf Sem einzugehen, rauschte zwischen den Theken durch bis zum Wandregal und hantierte mit Weinflaschen.

Laut Berrnek von Omsten plagte Ringleute das Misstrauen, dafür fehlte es ihnen an Neugier. Fremden gegenüber verhielten sie sich nicht zuvorkommend, auch nicht dieser massige Mann mit der angenehmen Tonlage, auf dessen Gesprächigkeit Sem gesetzt hatte.

Der Wirt verschwand im Raum hinter der Sitznische des Alten. Kam zurück, sah sich um.

Sem nutzte die Gelegenheit. „Der Dragendöter?“

„So heißt seine Yacht. Kein Luxuspott, einer für schnell. Verholt, tatsächlich keiner mehr oben.“ Der Wirt beugte sich zu einer Vorrichtung.

Sem hörte ihn nach Weißwein rufen, lehnte sich über die Theke. Ein Sprechrohr.

Aus dem Durchgang zur Küche kam eine Frau mit einem Tablett, unter dem das Küchenmädchen zusammengebrochen wäre. „Schrei nicht, kann mich nicht halbieren.“

Was für Arme. Die stemmte mühelos ein Omrakfass, wahlweise einen dieser muskelbepackten Ringmänner. Mit Vaudekla jongliert sie.

Sem unterdrückte ein Snickern, sagte: „Wo ist er denn?“, der Wirt drehte sich weg, Sem hob die Stimme, sprach zu seinem Rücken. „Hab gehört, er hat sich verspätet.“

„Zwölfer!“ Der Wirt sah einem Gast entgegen, verhandelte. Füllte zwei Weinbecher mit Rotem, setzte sie ins Gestell zu den anderen, übergab es, baute sich vor Sem auf.

Neben Sem keckerte der Alte.

Fragte er zu viel? Sein altes Leiden, außer, wenn es drauf-

Wumm, Wumm, die Pranken des Wirts, eine rechts von ihm, eine links. „Wenn dir am Zuhören liegt, nimm die Kammer, oder zahle Pitt und Perri ein paar Handrunden.“ Der Wirt nickte zum Bezopften. „Wenn deine Ringe nicht reichen, horch den alten Hetten aus, der hat sonst nichts zu tun.“

Kein Begreifen. „Hier ist doch die Kammer?“

Der Wirt verdrehte die Augen, wandte sich den Zapfhähnen zu.

Hetten sah Sem groß an. „Vor der Tür hängt sein Zunftzeichen.“

Sowas erwähnten weder Berrnek noch der Wälzer. „Und wozu dient das?“

„Es sagt dir, der Hundwirt gehört der Erzählerzunft an. Kannst ihn mieten für ein paar Ringmünzen, Tringster ist frei.“ Hetten deutete über die Schulter in den Raum hinter ihnen. „Das war Tines Schlafkammer, sie hat den Hundwirt erhört, und sie haben ihre Häuser verbunden. Da stammt mein Sitzplatz her, war einer drin eingemauert.“ Er wandte sich halb um, zeigte auf die Hoftür. „Zur Hörkammer gehts durch die Laube.“

Eingemauert?

„Zieh uns nicht den Hundwirt ab.“ Ein Ringmann mit Lederweste stand neben Sem, leere Humpen in den Händen, einen in die Armbeuge geklemmt. „Kiek nich, hilf mir. Zwölf auf einmal trägt er, die größten Handrunden auf Kazon. In der falschen Hand taugt der beste Omrak nichts, unser Hundwirt ist ein großer Zapfer. Schon gehört vom Austernfieber? Soll auf den Nordöstlichen umgehen, habs von meinem Sohn, er ist Helfer. Da schmeckts mir hier nochmal so gut. Dank dir, ich hol den Rest.“

Sem brachte den letzten Krug auf der Theke unter, verzog sich in den Hof. Wunderte sich wie am ersten Tag, daß der Abort nicht stank, ließ am Brünnchen Wasser über die Hände rieseln, spähte in die Laube. Ausgestreckt an der Mauer lag der Körper eines großen Tieres, dunkle Flecken im Fell. Als die Sonne kurz hervorblinkte, schillerten sie grün.

Ein Kadaver? Nein, der klobige Kopf hob sich, zeigte zwei Bögen Zähne, rollte die Zunge aus. Der Kneipenhund, er gähnte, streckte die Beine bis in die Krallen, sank seufzend wieder zusammen.

Kein Hund, wie er sie von daheim kannte. Sem hockte sich neben ihn, strich über eine der dunklen Stellen, kurz wie geschoren, umgeben von fuchsfarbenen Zotteln. Das Tier hielt die Augen geschlossen, schien zu lächeln unter seiner Musterung.

◊ ◊ ◊

„Dann meldet euch zur Ernte. Ehrbare Männer gehen einem Gewerbe nach.“ Mams Keifen hallte bis in die Brauergasse.

Perri schloss die Haustür von außen. „Zeit, daß Berrzak kommt.“

Hinter ihm ein Knarren. „Und wenn ihr schon in die Kneipe lauft, dann gebt auf Homme acht, daß ihn dort keins verdirbt.“ Mam warf die Tür zu, wie nur sie es hinbekam.

„Was will sie?“, fragte Pitt. „Wir haben mehr als genug Ringe mitgebracht von der letzten Fahrt.“

„Die liegt zwei Jahre zurück.“

„Aber das ist es nicht“, stellte Pitt fest.

„Mein verliebter Bruder weigert sich, der Frisurmacherstochter schönzutun, die sie für ihn ausgesucht hat. Mam zählt sich schon die Enkelkinder an den Fingern ab, da kommt Homme und sagt, das Mädchen sei ihm zu dick.“

Pitt krähte so vergnügt, daß sich auf den Hausbänken lächelnd die Alten nach ihnen umwandten. „Und von Mams Ältestem kommt auch nichts mehr, trotz gutem Beginn.“

Dazu schwieg Perri. Mira, seine Kinderliebe, war Kom-begabt. Sein Rauschen reichte zur Kom-Stütze. Vor vielen Jahren hatten sie einander geschworen, gemeinsam zur See zu fahren. Das wissende Lächeln von Pap und Altpap. Berrzaks Bestätigung, die Kapitänsschulen absolvierten stets nur Knaben. Perri hatte Miras Schwur vertraut, doch sie war wie alle Mädchen in die Türme gegangen.

„Kann deine Mam ein paar Grad weit verstehen“, sagte Pitt. „Mögacht …?“

Der freudig wogende Busen, heute fest verschnürt. Die Frau hatte Perri betont übersehen, nur Pitt gegrüßt.

Pitt wandte sich im Gehen nach ihr um, erkannte sie nicht, zuckte die Schultern. „Bins selber leid, fahrbereit in deiner Kellerklause herumzuliegen und um Essen zu bitten. Und dann Homme, ihre ewige Sorge.“

„Homme ist nicht dumm, nur anders. Vor ein paar Wochen hat er angefangen, mit Altpap zu reden, hat behauptet, er spüre ihn im Rauschen. Mam hat Zustände bekommen. Sagt ihr Homme, sie sei eifersüchtig. Kreischerei beendet. Er verblödet ohne Aufgabe, ich baue auf die Fahrt. Nach dieser Route wird er wissen, was er wert ist.“

„Und Berrzak war Altpap Jorrgens bester Freund.“ Mit einem Hemdärmel wischte sich Pitt den Regen aus den Augen.

„Für Homme kommt Berrzak gleich nach Altpap. Mam sieht nicht, daß Homme eine gute Kom-Stütze ist, sie sieht nur, daß er körperlich noch nicht mithalten kann. Sie hasst Berrzak, sein Anblick bedeutet Veränderung.“

„Er ist ihre verpasste Gelegenheit“, meinte Pitt.

Perri bekam es nicht mit, er wich einem Ziegengespann aus, streifte ein Hafenkind.

„Olker. Fahr deinen Kadaver aus meiner Route.“ Das Hafenkind witschte vor ihm vorbei, beladen mit nichts außer Missmut.

Dem Gespann folgte ein Trupp Brauknechte mit Leergut, alle sangen. Der Vormann kniff ein Auge ein zum Gruß, Sprechen ging nicht, das brächte den Gesang durcheinander und die Reihe aus dem Gleichschritt. Perri zog mit für eine Strophe, danach konnte er Pitt nirgends entdecken.

Fand ihn wieder im Dreihopfenweg, vor der Heuertafel des Bunten Hund. In der Tat, sie brauchten einen Smutje. Weder er noch Pitt wussten einer Kombüse etwas Essbares abzuringen, zu schweigen von Homme, dem fiel das Essen selbst schon schwer. Hombert will eine leichte Seele bleiben, sagte Pap. Mam konnte den Spruch nicht ertragen.

„Bruntje von Spiel“, las Pitt, „koche alles und jeden. Moschgoscher.“

„Eintopf-Paule, viel Erfahrung“, entzifferte Perri. „Kann der nichts, oder ist er faul?“

„Hier ein Angebot, Kapitän Smokken von der Sudersonne: Suche ganz normalen Koch, der Schisch machen kann, der sich nicht dreimal bitten lässt für Honigschnitten, und der verholtament nicht säuft.“

Perri musste lachen, zog die äußere Kneipentür auf. Trat ein hinter Pitt, klinkte sie zu gegen Wind und Regen.

Pitt hielt die innere für ihn auf, von der Kammertheke strahlte ihnen Sem von Außen entgegen. Ein Betrunkener hatte den Arm um ihn gelegt.

Hinterm Tresen übergab der Hundwirt seinen Wirkungsbereich an einen jungen Mann. Tine erschien, Wangen hochrot, drehte die Holztafel um, auf der Gerichte und Preise verzeichnet waren. Faste und gieße in dich stand dort jetzt, in Anlehnung an die Mahnung der Läuterer.

„Verholt“, brummte Pitt.

Perri grinste. Wegen Pitts Bitte um ‚ein belegtes Brot, gern auch was Warmes‘ hatte Mam sie rausgeworfen.

Homme kam aus dem Trockenlager, Gesicht ebenfalls glühend, marschierte grußlos durch den Eingang. Perri spürte seinem Rauschen nicht nach, vielleicht schlich er sich an die Pforte zu Tines Kräutergarten. Seit der Begegnung mit Sem faszinierte Homme die Vorstellung, Sascha unbemerkt beobachten zu können.

Aus dem Sprechrohr neben der Kammertheke drang Klirren und Schimpfen, der Hundwirt pompfte die Klappe zu. „Weder Bauer noch Krämer sind gekommen, obendrein hat unser Küchenmädchen den Einkauf nicht erledigt. Wir besitzen noch sieben Kartoffeln und eine Zwiebel. Der Jüngste im Hause Perri steigt Sascha im Lager nach, und ich hab Leute von Suderland da.“ Er strebte Richtung Hörkammer.

◊ ◊ ◊

Der Smut packte die kleine Ausrüstung zusammen, angeschafft vom Lohn, von Qualität, daher noch wie neu. Trotz aller Späße der Krugwirtin.

In ihrer Küche zu essen war ihm verleidet, er trug sein Bündel ein paar Häuser weiter. Bemerkte beim Eintreten das umgedrehte Schild, an der Theke einen Zapfer, den er nicht kannte.

Sein Brotherr besaß ebensoviel Erfahrung im Zapfen wie der Hundwirt, er bezog den Omrak beim selben Braumeister, benutzte neuerdings die gleiche Art Humpen und reinigte seine Schankanlage ebenso gründlich. Und doch schmeckte der Omrak beim Hundwirt besser. Den Krugwirt fuchste das gewaltig.

Der Kneipenhund kam aus dem Hof gestürmt, stürzte sich auf den Smut mit einer Begeisterung, als kennten sie sich seit Jahren. Hinterdrein der Hundwirt, beladen mit Trinkgefäßen. „Was ist denn nun schon wieder? Ich klopfe, niemand antwortet. Aber da sind Umtriebe in der Küche.“

Der Zapfer wusste von nichts, begab sich nach hinten, der Hundwirt griff sich einen Schwung frischer Krüge. Der Smut wollte einen Hocker entern, der Kneipenhund fasste es als Spiel auf, das Bündel schepperte auf den Boden.

Gäste schauten her, der Wirt sah auf. „Du bist doch der Schiffskoch, den sich der Krugwirt auf einer Wiese gepflückt hat.“

„Herzige Umschreibung.“ Eins nach dem anderen sammelte er die Messer auf, legte sie nach kurzer Begutachtung auf die Theke, kam mit dem restlichen Packen wieder hoch. Nichts beschädigt. „Ich bin zum Probekochen da, wenn’s recht ist.“

Der Hundwirt stellte ihm einen Omrak hin, in der Türöffnung neben dem Sprechrohr erschien der Zapfer. Er hielt sich den Arm, sein bestäubtes Hemd sprach von Erde. „Tine wollte selbst einkaufen, hat ihren Münzbeutel vergessen und ist zurückgelaufen. Da war Sascha weg. Einfach abgehauen, Tine tobt da drin und wirft nach mir.“

Verholtament. Soff die auch?

„Ich kümmere mich, du bringst die Handrunde in die Kammer.“ Der Wirt verschwand Richtung Küche.

Unglücklich schaute der Zapfer auf zwölf Krüge.

„Jeder sechs“, sagte der Smut.

Auf dem Rückweg in den Gastraum hörte er die Einzelheiten des Küchendramas, reichte dem jungen Mann seine Gerätschaften als Pfand, nahm einen tiefen Zug und ging.

Als er mit einem weiteren Bündel über der Schulter zurückkam, erwartete ihn der Hundwirt am Ruhetisch der Wirtsleute. „Mein Zapfer liebt dich. Hast du da drin, was ich denke?“

„Der Krugwirt war froh, eine Ladung loszuwerden. Seine Frau plant ein Paprikafest.“

Der Hundwirt mimte ein Staunen. „Was soll das sein?“

„Schwer zu sagen. Die Frau denkt nur von Grün bis Rot.“

H‘che. Der Libbster ist der Wirtin Liebster.“

„Du weißt Bescheid?“

„Sie bestellt ihn bei mir. Hier.“ Der Wirt reichte ihm Krug und Ausrüstung.

Der Smut folgte ihm in ein Trockenlager, links sah er hinter Regalen die Lieferpforte. Gegenüber ging es zum Getränkelager, dort drehte sich im Winkel eine Treppe um sich selbst.

Geradeaus lag die Küche, der Wirt stürmte hinein. „Nicht werfen, Frau. Ich bringe dir einen Koch.“

„Wir brauchen nur eine helfende Hand.“ Die Hundwirtin hatte ein Gewürzregal ausgeräumt und rieb mit dem Lappen übers Holz, als wolle sie es zum Ölen anschleifen.

„Mögacht.“ Der Smut lächelte beim Sprechen.

„Mögacht.“ Die Wirtin ließ ab vom Brett, wandte sich um, die Farbe ihrer Wangen spiegelte den Zorn in ihrem Rauschen. „Für ein paar Tage wärs mir wohl recht. Solang die Wut nicht weicht, ist kein Messer mein Freund.“

„Ich suche eine Fahrt.“ Der Smut setzte Omrak und Bündel ab. „Wär mir lieb, wenn ich bis dahin bleiben kann.“

„Das sehen wir dann. Tine von Kazon.“

„Der Smut, nichts und Koch.“

Tine nickte, schob Pfeffer neben Liebstöckel, sah ihren Mann an. „Für die Küche willst du hübsche Mädchen, gleichgültig, wie ungeschickt sie sind. Nun bringst du einen Mann.“ Ihre Hand verweilte auf einer Mühle, einfarbig verkrustet, sie musterte den Smut, sprach dabei zum Wirt. „Sein Rauschen ist kaum zu spüren, aber das Haar abzuschaben ist nicht ihre Art.“

Auch der Wirt betrachtete ihn. „Bist du kahl, in deinem Alter?“

So musste Ware auf dem Markt sich fühlen, aber er spürte, die beiden meinten es nicht abschätzig. Er lupfte die Mütze, die er in den Stunden zwischen Arbeit und Vergessen wie einen Dosendeckel gehäkelt hatte, damit alles Haar hineinpasste. „Ich lasse sie an den Seiten barbieren, damit es nicht so kitzelt, da wächst nicht viel. Warum das so ist, weiß ich nicht. Ihr kennt die Geschichte.“

„Den Klatsch.“ Tine.

„Nicht aus deinem Mund.“ Der Hundwirt.

„Ich habs selbst nur im Kupferkrug gehört. Wie der Krugwirt unterwegs in die Büsche muss, buntes Zeug liegen sieht, aus dem Hopfenstangen ragen. Daneben eine Schiebekarre mit Kiste. Das will er sich ansehen, da bewegt sich das bunte Zeug und brabbelt. Das war ich, hab druntergelegen. ‚Ich bin der Smut‘, soll ich gesagt haben, immer wieder, auch in seiner Dachkammer noch. Bis mein Kopf klargeworden ist und ich arbeiten konnte.“

„Ich musste an Kapitän Berrgar denken, als die Geschichte rundging“, sagte Tine. „Aber der hat seine Meilen laut gezählt.“

Der Heiler hatte die Legende erwähnt, der Smut nickte.

„Vielleicht ein Bierzelt“, meinte der Hundwirt. „Kein Schriftzug auf dem Zeug?“

„Habs nicht gesehen. Der Krugwirt hat es samt Kiste zur Pfandleihe bringen lassen, es ist wohl guter Stoff. Wie es aussieht, bin ich kein Mann zum Zeltaufstellen.“

„Du warst krank.“ Tine schenkte sich einen Becher Schwarzen ein aus der Kanne auf der Herdplatte. „Ich möchte sehen, wie du Armen Mann und Hund machst. Sagen wir, zwanzig zu dreißig Portionen, dann geht heute alles weg. Heute sind die Gäste hungrig, aber morgen kritteln sie, wenn es nicht schmeckt wie gewohnt.“

„Oder weils nicht schmeckt wie heute.“ Er lächelte, zeigte auf zwei Dosen Ziegenklee, eine rötlich beschmiert. „Den kaufst du, und wenn er fast alle ist, füllst du die Dose auf mit gemahlenen Rotschoten. Beste Mischung für Bunten Hund. Die Rotschoten ziehst du selbst, sie trocknen da oben neben dem Krausen Peterling, und die Krattenmühle nimmst du wirklich nur für Kratten. Das gibt reines Mehl.“

„Setz dich draußen hin“, sagte der Hundwirt zu Tine, zwinkerte ihm zu, schob seine Frau zur Tür hinaus. Nicht die ersten, die ihn für einen nicht ausreichend Kom-begabten Vaudekla hielten.

Immerhin soff Tine nicht. Der Smut reinigte den Ausguss, legte die Paprika hinein, wusch die bunten Früchte. War er ein Unbegabter? Ihm fiel nichts ein dazu.

◊ ◊ ◊

Perri versuchte, Sems Zügen etwas zu entnehmen. Es war sein Einfall gewesen, den Mann von Außen an ihren Tisch im großen Gastraum einzuladen. Um ihm auf den Zahn zu fühlen, mit Mühsal hatte er nicht gerechnet. „Um einen Handel aufzubauen? Die Zwerge sehen das nicht gern.“

„Ach woher, ich bin kein Geschäftsmann. Nein, wie gesagt, ich schaue mir die Leute an und das Land.“

„Davon malst du Bilder, verkaufst sie daheim?“ Für Pitt gab es keine albernen Fragen. Mehr als eine hatte er gestellt, Sem jede einzelne verneint.

„Aber nein.“ Wieder schüttelte Sem den Kopf. „Ich kann nicht malen. Am liebsten würde ich ein Schiff chartern.“

In der Küche ein Jaulen, Perri lauschte dem fremden Wort nach. Nicht jeder Mann von Außen suchte einen Kimrak, aber Hintergedanken hatten sie alle.

Jammernd kam der Kneipenhund aus dem Durchgang, bolzte gegen einen eintretenden Gast, daß die Frau zur Seite torkelte, lief auf die Gasse. Gabs doch noch was zu essen? Tine trank Schwarzen am Ruhetisch, aber da war doch …

„Was heißt ‚chartern’?“ Pitt traute sich zu, die Antwort zu begreifen.

„Mieten, mit Kapitän und Mannschaft und allem. Ich zahle und bestimme, wo es hingeht.“

Aha? Sem wirkte weder reich, noch wie einer, der an sowas Gefallen fand. „Kein Yachtmann verleiht sein Schiff, aber sie laden Gäste ein. Bei den Yachtleuten kannst du vorm Fänger kreuzen, dich gruseln. Fein essen und trinken.“

„Fregatten flachlegen.“ Pitt.

„Uh, eh … Ich dachte an ein kleines Schiff, mit dem ich von Insel zu Insel reise. Mit Leuten, die mir alles erklären.“

„Hast du was ausgefressen daheim?“, fragte Pitt.

Für Fremde auf der Flucht waren die Ringinseln eine Sackgasse, denn sie fielen auf. Doch siehe, Sem-sagt-nein fehlten die Worte.

„Verstehe.“ Pitt nickte. „Die Liebe.“

Sems Schultern sanken kaum merklich, er sah weg, wirkte, als wolle er auf keinen Fall darüber reden. Gespielt war das nicht.

Bis nach Kazon rannte der, einer Frau wegen? „Was willst du erklärt haben?“, fragte Perri. Vielleicht kam dabei mehr heraus.

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