4. Frecker Yachtmann
Fünfter September, Klein Waal
Am Morgen des Berrgarstags holte ein Tumult den Fischnetzer Hafenmeister vom Nachtspan weg in die Amtsstube. Als er genau nachzählte, standen da nur zwei Leute, aber sie lärmten für ein Dutzend.
„Mögacht Hafenmeister! Da torkelt einer rum und lacht! Einer von der andern Insel!“
Der Hafenmeister hielt sich den Kopf, mit Gewissheit keifte die Frau noch lauter, wenn er jetzt seinen Pott Schwarzen aus der Küche holte. „Er wird den Kimrak gründlich ersäuft haben.“ Wie alle anderen auch.
„Ei was“, sagte die zweite Frau, „der tobt nicht im Rausch. Er hat eine Krähe-“
„Ein Pirat! Hafenmeister! Wir fordern, daß du was unternehmen tust!“
Ich fordere Schwarzen.
„Schrei mir nicht ständig rein. Der da tobt, ist Kapitän. Die Sorte benimmt sich immer absonderlich.“
„Du wirst es wissen! Früher waren Kapitäne noch Kapitäne, und meinem Berrnak sein Altpap sein Onkel hat einen gekannt, der hat als Kind die Dreimalstolz gesehen.“
„Aber nicht für lang, und unser Berrtak wird kein Kom-Kapitän, der wird Hafenlotse.“
Die beiden Frauen starrten einander an, rumms, die Tür, das nächste Dutzend. „Mögacht, Hafenmeister. Vor dem ollen Kahn kriegt einer den Veitstanz.“
Ah so. Das fiel in seinen Bereich. „Ich kümmere mich drum.“ Er ging in den bewohnten Teil des Hausflurs, stieg in die Stiefel, zog die Joppe über. Steckte den Kopf in die Küche. „Muss was nachsehen, stell mir den Schwarzen warm.“
„Ich mach dir frischen, wenn du wiederkommst.“ Verschlafenes Lächeln, zerzaustes Haar, eine Locke erforschte den Ausschnitt des Nachtgewands.
Seufz. Seine Frau sah mindestens so lecker aus wie der Schwarze.
Seeluft. Bestes Heilmittel nach einem Jahrestag. Der Wind donnerte ihm den Kater um den Schädel wie Anfang Juli sein Weib ein feuchtes Tuch, weil er auf dem Markt die Rothaarige gelobt hatte. Wegen der Mähne bloß, klabautergastrot. Die passte nun mal prächtig zum grünen Kleid.
Die ungerechte Bestrafung hatte er durch Flucht verkürzt, er prügelte sich nicht mit seiner Frau, hatte sie seitdem überhaupt nicht mehr angerührt und schlief in der Kammer hinter der Küche. Morgens klagte sie übers Wachliegen, geschah ihr recht, selbst behalf er sich mit Besuchen im Haus mit den roten Laternen. Dazu hatte er ihr das Wirtschaftsgeld kürzen müssen, was halfs. Daheim kein Geschmuse, bis sie um Verzeihung bat.
Letzte Schwaden des Katernebels gaben Raum, da lag wie seit Tagen das alte Schiff. Ungesichert, niemand vergriff sich an sowas. Davor eine Gestalt, lang und mager, Stimmung gelassen. Einer der Vaudekla aus der Siedlung?
Nein. Die Kleidung passte nicht ins Bild, und die aus der Siedlung waren noch dürrer, und sie rauschten anders. Erheblich schwächer vor allem, es waren ja Unbegabte. Der da trug ein Kapitäns-Kom wie er noch keins gespürt hatte. Er näherte sich ihm geduckt, ein kleiner Mann bot weniger Angriffsfläche. Diesen Tick wurde er nicht los seit der Sache mit dem feuchten Tuch.
„Mögacht, Hafenmeister. Berrzak von Oosland.“
„Mögacht, Kapitän Berrzak.“ Er wuchs ein Stück, das war doch der neue Eigentümer dieses Potts. Oder hieß der Berrtak? Berrnak, Berrgar … Kennungen behielt er im Kopf, altervorderliche Namen gerieten ihm durcheinander.
„Bin wegen des Schiffs da“, sagte der Kapitän, „war nicht ganz vorbereitet auf den Anblick.“
„Hehe.“ Ein Grinsen überkam ihn, wuchs in die Breite, sein Körper erreichte die volle Länge. Das tat gut. „Lass uns in die Amtsstube gehen, sie hallt von deinem Ruhm.“ Sein Gegenüber schaute ihn an, daß er hinzufügte: „Ein paar Fischersfrauen haben dich gesehen, kamen zu mir gerannt. Dachten, dir geht es nicht gut.“
Der Kapitän nickte, schlurfte schweigend neben ihm her.
Hm … Sollte er den erkennen, hatte nicht auch der Dragendöter Berrzak geheißen? Lang nichts mehr gehört von dem, angeblich war er gefährlich.
Was die Leute eben so schnackten, als Hafenmeister hatte er zu viel zu tun mit Schiffsführern, um sie zu fürchten. Wie alle Begabten trugen sie ein Kom auf dem Rauschen, das sie andernfalls umbrachte, weil Begabte nun mal stark rauschten, und Kapitäne ganz besonders. Das Kapitäns-Kom befähigte sie zum Nachrichtenaustausch, zum Korrigieren des Kurses, das wars auch schon. Einem Lebewesen konnten die meisten nichts anhaben, auch nicht mit dem Zeug im Kopf, das lichtscheue Kom-Werker unter der Hand feilboten.
Dieses Kom hier schien mehr zu bergen, aber es hatte Schaden genommen. Der ganze Mann sah übel aus.
Hm. Der Dragendöter, Besitzer der schönsten Rennyacht im Ring, kam halbtot ins letzte Dorf vorm Außen gewankt? Um einen alten Kahn abzuholen? Allein? Gekleidet wie ein balzender Knurrpfau?
Eher hieß er Zorrgan.
„Sie ist lange vor der Morgendämmerung eingelaufen“, berichtete er beim Schwarzen in der befriedeten Amtsstube, schnupperte behaglich am Becher. „Meine Frau konnte nicht schlafen, sie hat einen Vaudekla die Nachricht in den Kasten stopfen sehen. Keinen aus den Türmen, einen von ihren Unbegabten, aus der Siedlung zwei Meilen von hier.“
Ringmünzen hatten im Kasten gelegen, in ein Papier geschlagen, auf dem Anweisungen für ihn notiert waren. Der Eigentümer auf Oosland sei zu verständigen, die Registrierung beim Kom-Netzwerk vorzubereiten. „Kennungen, Schiffsdaten, Vorbesitzer, Umtaufe. Alles war ordentlich aufgelistet, dazu genau abgezählt die Gebühr für die kürzeste Kom-Nachricht. Keine Vorgabe zum Wortlaut. Kein Hinweis auf den Überbringer.“
Der Kapitän lehnte schwer auf dem Verhandlungstresen, Stirn gerunzelt. „Wie konnte sie ihn das einwerfen sehen?“
„Eh?“
„Deine Frau. Der Kasten für Nachrichten hängt an deiner Außentür. Sie besteht aus Jungholz, hat keine Luke, und sie ist eine Spanne zurückversetzt.“
Jungholz, so sagten sie südlich vom Zen, wenn eins Bäume fällte, statt seine Bretter aus Treibholz zu fügen. Auf Oosland sollte es mit dem Wald nicht weit her sein. Dieser Kapitän sah nicht ganz aus wie ein Ringmann, aber er sprach wie einer.
Verspätet ging ihm der Sinn der Bemerkung auf. Hm … „Da hat sie ihn wohl nur kommen und gehen sehen, wegen der Umstände habe ich beim Turm angefragt. Schon klar, in der Erntezeit zählt jeder Tag, da wartet eins nicht, bis das Hafenamt öffnet. Aber wozu die Heimlichkeit?“
„Mag sein, als Überraschung für mich. Ich kannte sie nur als Meine Neunte.“
Er wiegte den Kopf. „Leuchtet mir nicht ein.“
„Mir auch nicht.“ Der Kapitän warf ihm einen abschätzenden Blick zu. „Ist vom Turm was gekommen?“
„Bestätigung des Schiffs, Bestätigung deiner Kennung. Die Verbringung nachzuprüfen war dem Vaudekla zuviel. Die Türme eben, immer überlastet.“
Das Schiff hatte eines Tages drüben vor der Siedlung gelegen, zum Warten oder was immer. Die Unbegabten nahmen jede Arbeit an, und bei provisorischer Registrierung waren zum Verlegen eines nicht ordentlich registrierten Wasserfahrzeugs bis zu fünf Meilen Fahrt erlaubt.
Ihm schien, dieser Ooslander wusste recht gut, wo das Schiff herkam, sein Rauschen sprach davon. Es gab eine Gastkennung im Schiffs-Kom, identisch mit der, die bislang damit verbunden gewesen war. Schämte der sich, mit unbegabten Vaudekla Händel zu haben? Oder wollten die nichts mit dem Ooslander zu tun haben? Nicht fragen. Keine Frage, keine Plage ging das Sprichwort.
„Das Segel?“, fragte der Kapitän.
Ah so. Der wusste doch nicht alles. „Ein paar von den Fischern wollen eins gesehen haben. Als ich sie mir angeschaut habe, hatte sie keins.“ Es war keins nötig für die Strecke von der Siedlung bis Fischnetz, Ladung auf den Zwergenkraftspeichern vorausgesetzt. Ohne die half auch kein Segel.
„Wo hast du die Nachricht?“
„Die hat sich die Frau zum Anfeuern erbeten.“ Wieder ein Blick vom Kapitän, der Hafenmeister duckte sich unwillkürlich, machte große Augen zum eigenen Tun. Was sollte das, er hatte sich nichts vorzuwerfen.
◊ ◊ ◊
Unter Ringleuten zeichnete Freund DennDīnn mit ‚Moritz von den Klainen‘, erst jetzt fiel Berrzak das ein. DennDīnn geizte auch nicht mit Extra beim Zahlen. Es mussten zwei Stück Papier gewesen sein. Dieser freundliche, obendrein stattliche Hafenmeister erfüllte ordentlich sein Amt, das merkte ihm eins an. Wie stand es mit seiner Frau?
Berrzak stellte nur eine Anfrage im Kom, zu müde, um vor Ort nachzuhaken betreffs Handhabung von Amtspapieren durch Dritte. Er ließ das Schiff auf sich registrieren, der Hafenmeister hatte bereits bestätigt, daß die Zeichenfolge im Schiffs-Kom mit der Stanzung in Bordwand und Mast übereinstimmte.
Nach Art der Türme wurde die Kennung auch in Berrzaks Kom überprüft, als könne er mit der falschen das Schiff lenken. Die der Dragendöter war beim Zusammenbruch des Schiffs-Koms erloschen, nach ihr fragte der Vaudekla nicht. Berrzak unterließ es, doch noch ihren Verlust zu melden. Die Türme wussten davon, sie hatten sie geführt von Oosland bis zum Ort des Angriffs. Mit bloßer Überlastung ließ sich ihre Lethargie nicht erklären. Obskuminös, würde Freund Masten sagen.
Nach dem Zahlen der Gebühren meldete die Norrfescher Börse Ebbe. Berrzak schob sie ins Beinkleid, das mit dem Gürtel endlich Benimm zeigte, der Norrfescher Wirt besaß Augenmaß für Gürtel. Er dankte für den Schwarzen, ließ sich den Weg zum Dorfkrämer beschreiben.
Vorher musste er zum Liegeplatz, kurzer Weg in diesem Hafen. Doch in seiner Denkstube wälzten sich Gedanken, machten den Körper schwer.
Über seine Kennung fand ihn jeder und wusste: Kapitän Berrzak von Oosland hat den Angriff auf die Dragendöter überlebt. Berrzak brachte es nicht fertig, sich deswegen zu fürchten. Wer beim Leutholer sollte ihn töten wollen.
Hatte nur seine Rennyacht dran glauben sollen? Er wusste es nicht. Die Geschehnisse jenes Tages entzogen sich ihm wie ein Alptraum in schwüler Sommernacht, wenn einen der erste Donnerschlag in der Koje hochriss. Koje. Schlafen. – Später. Erst mussten vier Mann her und ein Segel.
Da lag sein neues altes Schiff, kaum achtzehn Spannen lang und keine fünf breit. Ein schwimmender Holzschuh, achtern wölbte sich die Bordwand wie eine Fersenstütze und bildete klobige Aufbauten.
Der Name ‚Meine Neunte‘ hatte offensichtlich auch den Drunta missfallen, laut dem Hafenmeister lag die Umtaufe zwei Jahre zurück. Nun hieß sie Hundebunt, doppelt auf den Lund gereimt. Erheiterung und Kummer, Freude und eine Prise Verzweiflung hatten Berrzak auf dem Kai herumgeworfen, hatten die Fischersfrauen hinter den Netzgardinen hervorgeholt.
Auf dem Großdeck befiel ihn ein Taumel, er musste sich auf die Planken setzen, das Schanzkleid im Rücken. Er lehnte den Kopf an. In diesem Zustand taugte er nicht als Kapitän, er brauchte ein, zwei Wochen Ruhe. Auf Kazon, im Haus von DennDīnns Leuten, wie ursprünglich geplant. Sein altes Zimmer in Jorrgens Haus kam nicht infrage, mit Mam Perri hatte die Hinterhältigkeit dort Einzug gehalten.
Dann wurde es Oktober, bis sie die Kalkinseln erreichten. Der Schwindel ließ nach, er schlug die Augen auf, betrachtete die kahle Rah. Frieren würden sie nicht, hinterm Langen Ostarm war es immer wärmer als im Ring. Selbst Suderland, auf dessen Terrassen das weiße Korn gedieh, konnte da nicht mithalten.
Aber bei weiterem Verzug gerieten sie in die regenreiche Zeit. Die begann mit Gewittern, brachte Höhlen zum Einsturz, ließ neue Hohlräume entstehen, änderte Wege, ewiger Wandel. Ein Mensch mit seiner kurzen Lebensspanne sah nur einen Ausschnitt davon.
Trübe Gedanken, Krah fiel hinein, landete auf der Rah, knabberte an einem der Kontakte. Berrzak richtete sich auf, saß still. Noch lauerte der Schwindel.
Wenn er von Klein Waal zur Schatzfahrt aufbrach, wäre er binnen Stunden im Toten Mann. Stattdessen würde er über Kazon und Rabazon nach Oosland fahren. Um sich einzugewöhnen.
Tagelanges Einfahren auf einem Kom-Schiff galt als eigensinnig unter Kapitänen wie seinem Norrfescher Gönner, der kein Fängerpatent besaß, der auf Fahrt zum Bildnis seiner selbst erstarrte. Seinesgleichen hatte nie erlebt, wie sich beim Eintritt in eine Querung Kapitän und Kom-Stützen blind auf dem Schiff zurechtfinden mussten. Auf ungewohntem Konstrukt wie dem der Hundebunt wollte das geübt sein, sonst fielen sie womöglich von den Aufbauten.
Die hatte ihm einst Perris Urpap auf Gemälden erklärt, im Rabazoner Bilderhaus. ‚Kastell‘ nannte sich das, gedrechselte Geländer umgaben ihre Dächer, so entstand ein Halbdeck vor der Kajüte. Es wirkte kaum größer als der Freisitz vor seiner Norrfescher Kapitänsbleibe.
Der Taumel hatte sich gelegt, Berrzak erhob sich, stieg hinauf. Lupfte die Brauen zur Gestaltung des Notsteuers, betrachtete eine Bank, montiert an die Kajütenwand. Die Stange für den Jakobsvogel fehlte, gut so. Krah hatte eigene Vorstellungen von einer tauglichen Warnerstange.
Genug getrödelt, Berrzak schätzte die Segelmaße, machte sich auf den Weg. Jeder gut sortierte Krämer hatte bestücktes Zwergentuch in den am häufigsten benötigten Größen auf Lager.
Mittags saß er vor der Hafenmauer, ließ sich von der Sonne bescheinen und wusste, mit seinem Wissen um Klein Waal war es nicht weit her. Die Insel bot unzählige Dörflein, aber keinen nennenswerten Markt, denn sie schmiegte sich an die große Schwester wie ein trinkendes Junges an ihr namensgebendes Fabeltier. Zwergentuch für Segel gab es an Feiertagen nur auf Waal zu kaufen.
Vorräte hatte er an Bord bringen lassen können, als Pfand die schwere, mit Metallfäden durchwirkte Weste hinterlegt. Sein Norrfescher Gönner hatte die obere Zahnreihe gebleckt, als Berrzak sie ihm angeboten hatte.
Was die Mannschaft anging, so gut wie jede Frau pflückte Dunkelhopfen. Der Transport oblag auserwählten Männern, die übrigen kümmerten sich um alles andere. Das ging bis hin zur Aufsicht über Wickelkinder, die sie den Müttern zum Säugen in die Nähe der Felder brachten. Wer selbst da nicht mithalf, war Berrzak nicht geheuer.
Das beruhte auf Gegenseitigkeit. Er fahre wohl für Trux, hatte einer der Müßigen gehöhnt, die an Hausecken lehnten, hatte auf Bestätigung gelauert, Gier im Blick.
Lächerlich, so zu scheitern, nach wie vor im Gefühl, etwas sei außer der Ordnung. Sein Verstand womöglich, kam zuletzt das Alter über ihn? Berrzak knurrte etwas, das er selbst nicht verstand. Seine Augen schmerzten, er zog den Hut zurecht. Im Schattenspenden war der gut.
„Wir haben ein Herz für bunte Hunde“, sagte der Netzstricker, der ein Stück weiter mit der Nadel hantierte. „Im Bunten Hund schmeckt Bunter Hund, Hundwirts Kneipenhund ist bunt.“
Das Wortspiel ging besser. Hundebunt … bunter Lund …
„Aber einer wie du befremdet uns“, sagte der Netzstricker. „Siehst aus wie ein frecker Yachtmann, und dein Schiff wie abgeschaut von den Bildchen hinter Hundwirts Tresen.“
Das kam hin. Schlotternd betrachtete Berrzak die Hundebunt, Befremdung erwärmte nicht das Herz. „Sitzt du immer hier?“
Der Alte nickte.
„Hast du einen wie mich gesehen, schlanker, mit schwachem Rauschen?“
„Eine von den halben Sprotten aus der Siedlung? Die haben das Schiff gebracht, hab ich reden hören. Gesehen hab ich schon länger keinen.“
Sprach er wahr? Berrzak spürte ihn kaum, als habe er das Kom danebengelegt. Ächzend rappelte er sich auf. Koje. Schlafen. Wohl am besten, aber erst musste er das Schiff … Der Gedanke entglitt ihm.
☆ ☆ ☆
Am hellichten Berrgarstag schleppte sich Kapitän Berrzak zum Bunten Hund, fand ohne Hilfe die Kapitänsbleibe, wickelte sich vollständig bekleidet ins Bettzeug. Wenig später meldete ein Waaler Turm die ersten Fälle des Austernfiebers. Es klang schnell ab, selten starb jemand daran, einen Hafen konnte es für mehrere Tage lahmlegen.
Die Vaudekla lenkten Schiffe um, verhängten eine Quarantäne über Waal und Klein Waal, wegen Krankheitsfällen unbekannter Ursache. Über deren Natur sollte die Bevölkerung nach Möglichkeit erst am nächsten Morgen ins Bild gesetzt werden.
Auch der Hafenmeister von Fischnetz erhielt diese Anweisung, dachte an den angeschlagenen Ooslander Kapitän. Durst folgt Auster ging ein Sprichwort, unheilvolle Aussichten. Wie die benebelten Dörfler sie morgen aufnehmen würden, wollte er nicht wissen.
Er schrieb die Anweisung auf, versiegelte das Papier und versah es mit dem Vermerk, es sei am nächsten Tag zu öffnen. Seine Frau beging den Berrgarstag nach Weiberart, sie würde es finden, wenn sie heimkam.
Wenn er das Fieber in sich trug – Mennesch. Körperlich fühlte er sich prächtig, und Leutholers Scharen brachten die Seuche nach Leutholers Wahl. Seine Frau zu schonen war ein Vorwand, er mochte sie nicht sehen, weil ihm die Frage des Ooslander Kapitäns zu schaffen machte. ‚Der Unbegabte aus der Siedlung war sich an unserer Tür am Abrackern, um den Packen durch die Klappe zu bekommen‘, hatte sein holdes Weib an jenem Tag belustigt berichtet. ‚Dann hat er mich bemerkt und sich davongemacht.‘
Hm.
Mit Decken, Brot und einem geräucherten Schinken stieg er in den Gewölbekeller unter der Amtsstube, schloss sich beim dort gelagerten Omrak ein.
Nachmittags klopfte mehrmals ein Hafenkind an die Tür der Kapitänsbleibe, trat schließlich ein. Der einzige Gast im Bunten Hund lag zu Bett und war nicht ansprechbar. Das Hafenkind zog die Nachricht zu Rate, die es überbringen sollte.
Die Frau des Hafenmeisters schlug einen Treffpunkt vor, bat um Antwort. Wollte ‚unter vier schönen Augen das kleine Versehen mit dem Brief erklären‘ und hoffte, das Kapitäns-Kom könne ihr etwas über den Verbleib ihres Gatten mitteilen.
Des Merkens wert, aber hier nicht von Nutzen, das Hafenkind verständigte den Wirt. Der Wirt schickte zum Straßenwart, der kam durch den Hintereingang. Warf einen Blick auf den kranken Kapitän, setzte den Wirt ins Bild über die Anweisung der Vaudekla. Er hielt sich an ‚Ursache unbekannt‘. Dem Wirt schwante etwas, er bat um klare Worte. Der Straßenwart beharrte auf der amtlichen Version.
„Ruhe, ihr Olken“, sagte in ihr Geschrei hinein das Hafenkind. Empfing eine Ringmünze, betrachtete sie, empfing noch eine, rannte los.
Abends wurde die Kapitänsbleibe bezahlt, ihr Bewohner auf einer Karre abtransportiert. Dem Wirt kams gelegen, auf einen kranken Gast konnte er gut verzichten. Ihm reichte die Horde Hafenkinder, die sich über Kimraks Ende in seinem Lager verpflegt hatte. Den Gedanken an das Unheil, das im Rauschen des Straßenwarts gedräut, vermied er. An ein Übel zu denken, zog es an.
Später berichtete ihm ein Stammgast mit zerstochenen Fingern, im Hafen sei eine Patrouille Vaudekla erschienen. „Haben gerauscht wie die halben Sprotten aus der Siedlung, aber einer muss wohl Meister sein. Und Kapitän.“ Der frecke Yachtmann hatte sein Schiff nicht gesichert gehabt, sie hatten an Bord gehen, ein Segel anschlagen können, nach Kräften gehindert von einer Krähe.
„Haben den Yachtmann verladen – wie geht das Wort?“, brabbelte der Alte. „Dieseit, ich glaub, meine Denkstube brennt. Als wär er Stückgut, wollte ich sagen. Ein Meister weiß, was er tut, aber wars denn einer? Muss immerzu drüber nachgrübeln, selbst Vaudekla können nicht …“ Unsicher sah er in seinen Krug, schwankte und fiel von der Bank. Das zweite Opfer des Austernfiebers.